Die eigene Mutterrolle bereuen? Für viele Mütter unverständlich. Ich liebe doch mein Kind, wieso sollte ich das bereuen? Aber darum geht es gar nicht: Mütter, die ihre Mutterrolle verfluchen, bereuen nämlich in den seltensten Fällen ihre Kinder. Nur, dass das eine ohne das andere eben nicht geht (Keine Mutter sein, aber gleichzeitig sein Kind behalten können).
Mütter, die von Regretting Motherhood betroffen sind, erleben das Muttersein nicht als bereichernden Lebensinhalt, sondern als dauerhafte Belastung und obwohl sie ihre Kinder über alles lieben, fühlen sich vor allem eingeengt von der Fremdbestimmtheit, die ihr Leben nun regiert. Der Nachwuchs bestimmt das Tempo und verlangt zu jeder Tages- und Nachtzeit Aufmerksamkeit, vor allem in jungen Jahren.
Frauen, die diese Veränderungen, die das Mamasein mit sich bringt, nicht als Bereicherung ihrer Mutterschaft erleben, sondern als extreme Belastung, vielleicht sogar als Bedrohung, wünschen sich mehr Selbstbestimmtheit und in schweren Momenten ihr kinderloses Dasein zurück. Mütter für diese Gedanken zu verurteilen, tut ihnen Unrecht. Denn Frauen, die ihre Mutterrolle bereuen, leiden genauso unter ihren Gefühlen und ihrem Wunsch, lieber wieder ein Leben ohne Kinder führen zu wollen. Schließlich sind sie genau in der Hoffnung Mutter geworden, Mutter zu sein sei die Erfüllung ihres Lebens.
Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang.
Ludwig Börne
Auch ich haderte über viele Jahre mit der Mutterrolle. Für mich war und ist es deshalb sehr wichtig, dass ich mir genügend Zeit für mich persönlich und Tätigkeiten neben dem Mamasein nehme, um mich selbst nicht zu verlieren.
Regretting Motherhood ist meiner Meinung nach keine Krankheit oder psychische Störung, wobei das Bereuen der Mutterrolle, soweit ich das beurteilen kann, Ausdruck eines seelischen Ungleichgewichts ist. Dieses Ungleichgewicht kann sowohl aufgrund von inneren als auch äußeren Faktoren entstehen, wobei sich nach meiner Erfahrung die Themenbereiche oftmals vermischen. Grundsätzlich tritt nach meinem Verständnis der Gedanke des Bereuens ein, wenn sich das subjektive Stressempfinden der Mutter als überwältigendes Gefühl äußert und im deutlichen Missverhältnis zu den erfüllenden Momenten des Mutterseins steht.
Zu den äußeren Faktoren zählen z.B.:
• Ein Ungleichgewicht der Verteilung der Aufgaben zwischen den Eltern (bzw. Bezugspersonen). Wenn die Frau sich hauptsächlich um die Kindererziehung, um den Haushalt sowie um die Organisation rund ums Kind kümmert und sie es ist, die sich frei nimmt, wenn das Kind mal krank ist. Dann leidet sie unter dem zu viel und zu oft.
• Ein Ungleichgewicht zwischen „Zeit mit Kind“ und „Zeit für mich“ (Stichwort „Fremdbestimmtheit“)
• Ein fehlendes oder unzureichendes Netz von Freunden und Familie oder fehlende Betreuungsmöglichkeiten von KiTa/Schule/Tagesmutter
• Unzureichende Hilfsangebote für frischgebackene Mütter, so dass das Gefühl von Überforderung bzw. Unzulänglichkeit eintritt („Ich stelle mich einfach zu blöd an, ich müsste ja auch selbst wissen wie es geht“)
• Unrealistische Idealvorstellungen vom Bild der Mutter (durch Werbung, Filme und Gesellschaftsansprüche suggeriert), oder aber einem Zuviel an Ratgebern und „idealen“ Verhaltensweisen, welche die Frau zu erfüllen versucht (und zwangsläufig irgendwann daran scheitert)
• Zu wenig Anerkennung für die täglich erbrachten Leistungen einer Mutter (sei es z.B. durch seltene oder fehlende Bestätigung des Partners (man denke hier vor allem auch an alleinerziehende Mütter!) oder die finanzielle Ungleichstellung der Mutter vom Staat im Verhältnis zu einem anderen Vollzeitjob)
Die inneren Faktoren sind auf den ersten Blick nicht immer leicht zu erkennen. Dazu können zählen:
• Traumatische Erfahrungen aus der eigenen Kindheit
• Ein überzogener Perfektionismus
• Komplikationen bei der Geburt, die Ängste und Unsicherheiten bei der Frau auslösen
• Hochsensibilität
• Die Unfähigkeit, für sich selbst einzustehen, nicht „Nein“ sagen oder Hilfe annehmen können; Scham, Zeit für sich selbst einzuräumen („Was bin ich doch egoistisch!“)
• Das innere Kind wurde zu lange vernachlässigt und/oder der innere Erwachsene wurde nicht ausreichend ausgebildet (beides gesunde Anteile, die jeder in sich trägt)
• Das Erleben von Unsicherheit und Hilflosigkeit, ausgelöst durch das Kind (z.B. wenn es sich beim Schreien nicht beruhigen lässt) oder durch die Außenwelt, z.B. wenn das Umfeld hauptsächlich Mütter hergibt, die permanent glücklich zu sein scheinen und damit die eigene, vermeintliche Unzulänglichkeit spiegeln, gekoppelt mit dem Gefühl, keine gute Mutter zu sein oder enge Bezugspersonen wie (Schwieger-)Eltern/Partner/Freundinnen, etc., die für das Empfinden der Mutter ungefragt/zu oft/kritisierend Ratschläge erteilen
• Grundsätzliches Misstrauen in die eigenen Fähigkeiten und/oder blockierter Zugang zu mütterlichen Instinkten
Eine Leserin fragte mich einmal hoffnungsvoll, ob es eine spezielle Therapie für Mütter mit Regretting Motherhood gibt. Davon habe ich bislang noch nicht gehört.
Ich denke aber, dass eine Spezialisierung auf dieses Phänomen auch nicht zwingend notwendig ist, weil man meiner Meinung nach sowieso nicht primär den Zustand des Bereuens behandeln, wohl aber bei den Ursachen ansetzen kann, um wieder in ein inneres und äußeres Gleichgewicht zu finden. Und da kann jede Form von Psychotherapie helfen!
Zu seinen inneren Kraftquellen findet, wem es gelingt, seinen kindlichen Ur-Schmerz in Mitgefühl für sich selbst und andere zu verwandeln.
– Prof. Dr. Franz Ruppert
Das kannst du auch schon ohne Therapeuten für dich tun:
• Mitgefühl für dich selbst entwickeln (Was würdest du in stressigen Situationen oder auch rückblickend zu einer guten Freundin sagen?)
• Zeit für dich einräumen (Schöpfe aus 190 Leserinnentipps ab fünf Minuten Zeit)
• Freundlich mit dir selbst sprechen (lerne deinen inneren Kritiker schätzen, statt ihn vernichten zu wollen)
• Lerne, (noch öfter) „Nein“ zu sagen und Aufgaben zu delegieren bzw. Hilfe von deiner Mutter/Freundin/Nachbarin anzunehmen
• Selbstbestimmtheit in den Tag integrieren
• Bücher und Blogs lesen, die dein Selbstwertgefühl steigern bzw. deine Thematik aufgreifen; die sich um Selbstliebe und Selbstakzeptanz drehen, damit du motiviert bist, milde mit dir selbst umzugehen, auch, wenn das Hamsterrad namens Muttersein dich oft mitschleift
• Achtsamkeit, Resilienz und Selbstregulation in den Alltag integrieren (bei YouTube findest du viele Übungen zu den Stichworten)
• Schreib dir deinen Kummer von der Seele und verbrenne den Brief wahlweise anschließend.
• Vernetze dich mit Gleichgesinnten, um das Gefühl loszuwerden, alleine mit deinem Problem dazustehen, z.B. über Facebook-Gruppen
Woran merke ich, dass ich mehr Hilfe, vielleicht sogar eine Therapie brauche?
• Wenn du schon zig Mal versucht hast, dein Verhalten zu ändern, aber immer wieder in einen Teufelskreis von alten Mustern gerätst
• Wenn du Angst vor dir und deiner Unberechenbarkeit entwickelst
• Wenn du regelrecht Panik davor hast, mit deinem Kind alleine zu sein
• Wenn dein Partner oder enge Bezugspersonen wiederholt den Vorschlag von professioneller Hilfe geäußert haben
• Wenn du dich einfach unwohl als Mutter fühlst, aber keine Idee hast, was genau du verändern könntest
• Wenn dich ein penibler Perfektionismus durch den Tag treibt und du deine eigenen Ansprüche nicht erfüllen kannst; wenn du das Gefühl hast, permanent als Mutter zu scheitern
Ich fühle mich grundsätzlich unwohl, Hilfe anzunehmen. Was soll ich machen?
Tatsächlich geht das den meisten von uns so. Wir haben gelernt, dass „Hilfe annehmen“ gleichbedeutend ist mit „Schwach sein“. Als wären wir Versager oder zu doof, das offensichtliche Problem alleine zu bewältigen. Ich möchte dir gerne Mut zusprechen, dass wir von Natur aus keine Einzelkämpfer sind, aber unsere Gesellschaft sich dazu leider entwickelt hat. Als müsste jeder alleine sein Problem lösen. Wir sind in der Situation, in der wir sind, aber zu den Ursachen haben wir meist nicht willentlich beigetragen. Es ist absolut logisch, dass wir uns nicht selbst an den Haaren aus dem Sumpf herausziehen können, obwohl wir es bis zur Erschöpfung versuchen. Und die Ansicht „Andere schaffen es ja auch alleine“ zählt nicht, wenn diese Mütter ihre Kraft aus dem Muttersein ziehen oder in ein funktionierendes, soziales Netz eingebunden sind!
Vielleicht hilft dir der Gedanke, was du einer guten Freundin raten würdest, wenn sie vor der gleichen Situation stehen würde. Meistens können wir mit anderen viel mitfühlender umgehen als mit uns selbst und ihnen raten, sich Hilfe zu suchen. Leider warten die meisten dennoch so lange, bis der Schmerz kaum noch aushaltbar ist und bis darüber hinaus. Dann versetze dich in die Lage deines Kindes, das noch nicht (so deutlich) für sich selbst sprechen kann: Kannst du dir um seinetwillen Hilfe suchen? Hättest du dich damals gefreut, wenn deine eigene Mutter über ihren eigenen Schatten gesprungen wäre, um die familiäre Lage zu verbessern? Und egal wie alt du bist: Es ist niemals weder zu früh noch zu spät, sich Hilfe zu suchen!
–> Meine Empfehlungen, wie du einen passenden Therapeuten oder eine gute Therapeutin für dich findest.
Muss es gleich eine Therapie sein oder gibt es noch andere Möglichkeiten?
Wo du anfängst, ist erstmal nebensichtlich, Hauptsache du gehst den ersten Schritt! Darauf kannst du wirklich stolz sein!
• Die Familienhilfe, z.B. von der Caritas, unterstützt dich gerne im Bereich Beratung, Erziehung oder Haushalt
• Eine Familienaufstellung kann dir dabei helfen, emotionale und festgefahrene Strukturen in deinem Familiensystem zu ergründen
• Eine reine Mutter-Kur (ohne Kind; gibt’s z.B. auf Norderney) kann dir zumindest Luft für ein paar Wochen verschaffen, um mal wieder durchzuatmen und in Ruhe weitere Schritte zu planen
• Falls ein tragendes Netz von Familie und Betreuung (KiTa, Schule) gegeben ist, wirkt auch eine privat organisierte Woche Urlaub für dich alleine Wunder
• Wenn du glaubst, an einem Entwicklungstrauma zu leiden, kann ich dir übrigens wärmstens den Online-Kurs „Mit Trauma leben“ von Dami Charf ans Herz legen, den ich selbst gemacht habe. Obwohl er nur virtuell stattfindet, hatte ich durch die Videos das Gefühl, die sympathische Therapeutin befände sich direkt in meinem Wohnzimmer.
Alles was wir wissen nützt uns nichts, wenn wir es nicht umsetzen.
– Dami Charf
Du liebst dein Kind, kannst dich aber einfach nicht mit der Mutterrolle und der damit verbundenen Endlos-Verantwortung für ein Kind anfreunden? Du haderst oft mit deinem Muttersein? Du würdest gerne die Zeit zurückdrehen, wenn es möglich wäre, und dich für ein Leben ohne Kinder entscheiden?
Auf meinem Blog findest du viele Beiträge, die sich mit dem Thema „Regretting Motherhood“ befassen. Ich habe dir unter diesem Text als Empfehlungen eine prägnante Auswahl zusammengestellt, aber du erhältst auch unter dem Schlagwort „Wunsch nach kinderlosem Leben“ viel Lesematerial.