„Christine, was verstehst du eigentlich unter Mütterlichkeit? Was genau heißt für dich mütterlich sein?“ Es war eine Blogleserin, die mir diese Frage vor ein paar Wochen stellte und ich merkte, wie diese Frage widersprüchliche Gefühle in mir auslöste.
Mütterlichkeit ist ein läufiges Wort unserer Gesellschaft, gibt man es bei Google ein, erhält man über 3.790.000 Suchergebnisse. Der Duden umschreibt es mit „mütterliche Art“, „mütterliches Wesen“. Diese Definition ist mir eindeutig zu schwammig, zumindest glaube ich, dass der Sinn hinter dem Wort viel zu oft missverstanden und fehlinterpretiert wird. Jede Frau, die ihre eigene Mutter als vorrangig schimpfend und strafend in Erinnerung hat, wird mir zustimmen, dass bei ihr in diesem Fall der Begriff „Mütterlichkeit“ nicht positiv besetzt ist.
Aber beinhaltet Mütterlichkeit wirklich alle Facetten, die wir zwangsläufig als Mutter zeigen?
Als ich Mutter wurde, war ich nicht automatisch mütterlich, auch wenn ich das -wie jede Frau mit Kinderwunsch- vorher annahm. Stattdessen war ich gefühlsmäßig total blockiert und fand keinen Zugang zu dem Teil in mir, der ab jetzt mindestens 18 Jahre lang Mutter sein sollte. Mutter sein wollte.
Wird das Kind geboren, wird man auch als Mutter geboren, so einfach ist das in der Theorie. Und gerade, wenn man selbst keine glückliche Kindheit erlebt hat, möchte man es erst recht besser machen als die eigenen Eltern. Mütterlichkeit inklusive.
Mütterlich zu sein bedeutet für mich persönlich vor allem, Geborgenheit auszustrahlen, Empathie empfinden zu können gegenüber meinen Kindern, ihnen bedingungslose Liebe entgegenzubringen (nicht zu verwechseln mit “meine Kinder immer toll finden“, sondern “meinen Kindern nicht die Liebe zu entziehen, wenn sie anders sind oder handeln, als ich es gerne hätte“), Trost spenden, gütig sein.
Ich denke in jeder Frau ist von Natur aus genügend Mütterlichkeit vorhanden. Das Problem ist nur, dass wir über Generationen hinweg verlernt haben, diese Mütterlichkeit ausreichend zuzulassen.
Was heute vor allem zählt sind erzieherische Maßnahmen, um seine Kinder bloß nicht zu verziehen: Strenge, Disziplin, Regeln und selber Maßregeln. Natürlich wissen wir alle, dass es ganz ohne Struktur und Regeln nicht funktioniert. Laissez-faire bis zum geht-nicht-mehr oder führungsloses Elternsein schadet unseren Kindern, die gesunde Grenzen und Verlässlichkeit benötigen, mehr, als dass es guttut.
Und trotzdem glaube ich, dass viele Eltern, allen voran wir Mütter, sehr unsicher sind, wenn es darum geht, mütterliches Wohlwollen den gesellschaftlichen Ansprüchen vorzuziehen.
Das Kind zu trösten, obwohl es „selbst schuld“ war, dass es zu schnell die Treppe hinuntergelaufen war und am Ende hingefallen ist. Den Sohn nicht mit seiner komischen Macke aufzuziehen. Die Tochter nicht dafür zu verachten (auch nicht hinter vorgehaltener Hand), weil sie so schüchtern ist und vor Fremden den Mund nicht aufbekommt.
Das ist schwerer umzusetzen als man als Kinderlose noch annimmt und hat vor allem mit unseren eigenen Kindheitserfahrungen zu tun. Durften wir schwach sein? Durften wir alle unsere Gefühle zeigen? Meiner Erfahrung nach tun sich vor allem jene Mütter mit Empathie ihren Kindern gegenüber schwer, die selbst wenig Mitgefühl von ihrer eigenen Mutter bekommen haben.
Weswegen die Frage der Blogleserin bei mir widersprüchliche Gefühle auslöste: Meine Kindheitserfahrungen von sogenannter Mütterlichkeit deckten sich in keiner Weise mit dem Verständnis, das ich über die letzten Jahre darüber entwickelt hatte.
Mutter zu sein ist eine wunderbare Sache. Aber erst dann, wenn man Zugang zu seiner eigenen Mütterlichkeit gefunden hat. Wenn man sich selbst die Mutter sein kann, die man damals (mehr) gebraucht hätte.
Sich selbst respektieren und tiefsitzende Bedürfnisse erfüllen (dazu gehört auch, sich genug Zeit für sich und seine Selbstverwirklichung trotz Kinder zu nehmen): Das ist Aufgabe der Mutter in uns, die wir uns selbst sein müssen! Wir sind erwachsen und nun selbst dafür verantwortlich, Mütterlichkeit zu leben. Nur so können wir diese Mütterlichkeit an unsere Kinder weitergeben.
Und was ist mit dem Begriff der Mutterrolle? Bedeutet Mütterlichkeit dasselbe wie die Mutterrolle leben?
Meiner Ansicht nach ist Mütterlichkeit nur ein Teil von der Mutterrolle, aber eben der entscheidende. Die Mutterrolle an sich ist das Konstrukt, aber die Mütterlichkeit ist das Herzstück. Beide Komponenten können sogar unabhängig voneinander existieren und wirken. Ich kann die Mutterrolle augenscheinlich erfüllen ohne mütterlich zu sein, aber dann wird weder mein Kind noch ich als Mutter erfüllt auf- bzw. daran wachsen. Umgekehrt kann ich auch mir selbst oder anderen Menschen mütterlich gegenüber zugewandt sein, ohne selbst je ein Kind zur Welt gebracht zu haben.
Organisieren, kümmern, Verantwortung übernehmen – das alles gehört zu dem Gebilde namens Mutterrolle. Herzlichkeit, Geborgenheit, liebevolle Zuwendung: Dies entspringt ausschließlich der Mütterlichkeit. Erst, wenn beide Teile im Einklang miteinander wirken, wird das Muttersein zu einer „runden“ Sache.
Ich glaube, wenn ich es schaffe, mütterlich zu sein, mir selbst und meinen Kindern gegenüber, kann ich auch viel leichter Frieden schließen mit der Mutterrolle. Für ein gesundes Muttersein benötigen wir beides.
Und so manche Frau fragt sich: Bin ich also eine schlechte Mutter, wenn ich wenig Mütterlichkeit in mir verspüre?
Wie wir von unseren Eltern behandelt wurden, dafür können wir nichts. Aber nun, da wir selbst erwachsen und Mutter sind, zählt es zu unserer Verantwortung, in erster Linie daran zu arbeiten, uns selbst liebevoll zuzuwenden, um daraus langsam Mütterlichkeit entwicklen zu können. Wenn wir dazu bereit sind (was nicht bedeutet, dass wir es sofort hinkriegen müssen – sich selbst Druck machen steht im Gegensatz zu Mütterlichkeit!), können wir gar keine schlechte Mutter sein!
Eine Mutter beschrieb einmal recht bildhaft, was sie unter Mütterlichkeit versteht: Sie stelle sich immer wieder vor, sie wäre wie eine warme, Geborgenheit ausstrahlende Höhle, in der ihre Kinder Schutz suchen könnten. Ich finde, das trifft es ziemlich gut und erinnert mich zugleich an den mütterlichen Schoß, aus dem wir alle kommen.
Mütterlichkeit ist uns allen von Natur aus mitgegeben – wir müssen nur lernen, uns selbst wieder mehr zu vertrauen, diese Mütterlichkeit zuzulassen und uns selbst nachzunähren.
Damit wir nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selbst eine liebevolle, empathische, tröstende und Geborgenheit schenkende Mutter sein können, um auf Dauer wieder mit uns im Reinen zu sein.
Fotos mit freundlicher Unterstützung von Kelly Sikkema, Artem Maltsev
Birgit sagt:
Ich denke Mütterlichkeit ist in seiner rohesten Form erst einmal Beschützerinstinkt. Wir werden zu wilden Furien wenn Jemand unseren Kindern auch nur ein Haar krümmen will und bekommen enorme und unglaubliche Kräfte wenn wir sie in Gefahr wähnen. Das ist von der Natur natürlich auch so gewollt und findet sich bei jedem Muttertier.
Mütterlichkeit ist eigentlich ein sehr natürliches Konzept. Es beinhaltet das sich Zuwenden, die Aufmerksamkeit, Zuhören, Liebe und Zärtlichkeit schenken, Trost spenden, Unterstützung bieten.
Für mich als Mutter beinhaltet es aber auch als Mutter zurückzutreten, wenn ich den Eindruck habe, dass die Kinder jetzt selbständiger werden sollten. Die Kinder sollen ihre eigenen (auch schlechten) Erfahrungen machen dürfen, sie sollten ihre Fähigkeiten zur Selbständigkeit immer wieder erproben und ausweiten. Sie sollten in einem gewissen Masse stürzen dürfen, sich verletzen und davon lernen dürfen. Weil es ihnen gut tut und für ihre Entwicklung notwendig ist.
Mütterlichkeit heisst aber nicht, sich komplett für die Familie aufzuopfern und die Kinder über alles zu stellen. Die Frau in der Mutter sollte auch noch Raum und Aufmerksamkeit erfahren indem sie ihre Hobbies, Sport oder andere erfreuliche Dinge ausführt, welche die Frau in der Mutter nähren. Mütterlichkeit heisst für mich auch Hilfe von Anderen einzufordern und sich selbst nicht für Alles zuständig zu fühlen. Also im gewissen Masse auch die Selbständigkeit anderer beteiligter Erwachsenen zu fördern.
Also es geht wie immer im Leben um einen gesunden Ausgleich.