Den Namen meiner Tochter trug ich schon lange in mir. Länger noch, als den Namen des Jungen, der zuerst seinen Platz auf dieser Welt einnehmen würde. Sarah mit biblischem Hintergrund, der Zweitname Elisabeth war meiner verstorbenen Oma gewidmet. Sarah Elisabeth hatte bereits einen festen Platz in meinem Herzen und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie auch einen sichtbaren Platz unter meinem Herzen einnehmen würde. Es war im Jahr 2011, als ich schwanger wurde, aber schon schnell, noch vor dem entscheidenden Ultraschall, fühlte ich, dass mein Erstgeborenes ein Junge werden würde. Sarah Elisabeth wartete derweil noch in himmlischen Sphären auf ihre Niederkunft.
Stattdessen wuchs ein gesunder Junge in meinem Bauch heran. Ich fühlte mich Maxi von Anfang an sehr verbunden, die gemeinsamen neun Monate waren wir wie Eins, nichts konnte unser Band durchtrennen. Doch dann erblickte er das Licht der Welt und meine eigene Welt zerbrach. Von einer Sekunde auf die andere wurde ich übermannt von der bedrückenden Fremdbestimmtheit, die ich als Mutter fortan täglich spüren sollte. Mit einer Wucht, wie ich es niemals zu fürchten gewagt hatte, zerschnitt eine Mischung aus Angst und Wut unser Band und die schwersten Monate meines Mutterseins folgten.
Dass ich dennoch so kurz darauf wieder in anderen Umständen war, hatte zwei Gründe. Zum einen wollten mein Mann und ich immer zwei Kinder haben. Maxi als Einzelkind großzuziehen, war nicht unsere Absicht, zumal wir als Eltern beide den Gewinn von Geschwistern kennengelernt hatten. Der andere Grund hieß Sarah Elisabeth. Sie wartete immer noch „da oben“ auf uns, genauso wie wir auf sie warteten.
Und dann, sechs Wochen nach Maxis Geburt, wurde ich erneut schwanger. Mit meinem kleinen Mädchen. Dachte ich.
Wenn ich sage, dass ich es förmlich spüren konnte, wie die Seele meiner Tochter unter meinem Herzen ihren Platz einnahm, mag es für Manche wie eine Mischung aus Wunschdenken und Esoterik klingen. Ich kann nichts dafür, ich wusste einfach, dass nun Sarah Elisabeth auf die Welt kommen würde.
Die nächsten Wochen waren allerdings sehr nervenaufreibend. Ich bekam plötzlich Blutungen und mein Frauenarzt riet mir zu besonderer Schonung, allein schon der frühen zweiten Schwangerschaft in Folge wegen. Er wolle mich nicht beunruhigen, aber es wäre auch gut möglich, dass ich einen Abgang haben würde.
Ich schonte mich so gut es ging und kämpfte gleichzeitig wie eine Löwin. Ich sprach immer wieder zu meiner Kleinen, dass ich auf sie aufpassen und sie beschützen würde und bat sie gleichzeitig, mit mir durchzuhalten.
Ich weiß nicht, ob ich so um mein Kind gekämpft hätte, wenn ich damals schon gewusst hätte, dass es ein Junge war, der da mit mir um sein Überleben kämpfte.
Die Blutungen tauchten immer wieder auf, mal täglich, mal mit mehr Abstand. Und irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, verschwanden sie endlich ganz. Ich fühlte das unglaubliche Gefühl, gemeinsam mit meiner Tochter den schweren Kampf um ihr Überleben gewonnen zu haben. Dann kam der Ultraschall und mein Frauenarzt lächelte mir entgegen.
„Sie haben schon einen Sohn und wollen jetzt sicher eine Tochter?“ „Ja!“ antwortete ich glücklich und mit klopfendem Herzen. „Tja, daraus wird wohl nichts werden, das sieht anders aus auf meinem Ultraschall.“ Ich konnte zunächst nicht glauben, was mein Frauenarzt da sagte, noch fassungsloser war ich, dass er immer noch grinste wie ein Honigkuchenpferd. Als ginge es darum, der werdenden Mutter zu sagen, dass Erdbeerkuchen heute aus sei, lediglich Kirschstreusel wäre noch im Angebot.
Ich war wie im Nebel, hörte mich „Natürlich freue ich mich“ auf seine rhetorische Frage antworten, auch ein Lächeln bekam ich zur Wahrung meines Gesichts über die Lippen. Dass ich mit mir rang, dass in mir gerade auf der Liege eine Welt zerbrach, das konnte höchstens mein Mann erahnen. Ich war froh, dass ich bereits lag, ansonsten wäre ich wohl zusammengebrochen.
Die darauffolgende Zeit erlebte ich, als stünde ich neben mir. Ich erinnere mich daran, dass mich im Auto, auf dem Parkplatz vom Frauenarzt noch, ein filmreifer Heulkrampf packte. Das konnte nicht wahr sein! Das musste ein Irrtum sein, auch, wenn das Ultraschallbild selbst für mich mehr als eindeutig war. Ich fühlte mich betrogen. Von Gott, von meiner weiblichen Intuition, vom Leben selbst.
Und dann packte mich die Wut. Vor allem die Wut auf den Zwerg in meinem Bauch. Was fiel ihm ein, einfach Sarahs Platz einzunehmen? Mir war schon lange klar gewesen, dass dies die letzte Schwangerschaft sein würde. Ein drittes Kind kam für meinen Mann und mich einfach nicht infrage. Mini hatte Sarahs Stelle eingenommen und es gab keine Chance mehr für mich, jemals mein Mädchen in den Armen halten zu können.
Ich erinnere mich daran, dass ich zuhause, völlig eingenebelt von meiner Wut, zum Kühlschrank ging und die Weinflasche entkorkte, die dort noch stand. Ich versuchte, meinen Frust und die überschäumende Wut zu ertränken. Dass ich damit extrem meinem ungeborenen Sohn schaden könnte, nahm ich in Kauf. Welchen Sinn hatte das Ganze schließlich noch?
Wenn ich heute daran denke, tut es mir unendlich leid, dass ich so fahrlässig mit Minis Gesundheit umgegangen war. Es war das einzige Mal in seiner Schwangerschaft, dass ich Alkohol zu mir genommen hatte und ich bin so sehr dankbar, dass mein Kind dadurch nachträglich keinen Schaden genommen hatte. Ich war so verzweifelt, so unfassbar enttäuscht und traurig und nichts und Niemand schien mir in dem Moment Halt geben zu können. Eine Erklärung geben zu können, warum die Dinge so waren, wie sie waren. Dass Alkohol das auch nicht kann, konnte ich in dem Moment nicht sehen. Aber zum Glück später.
Vor allem, weil nach der Betäubung durch das Getränk das Gefühl der Enttäuschung und des Verlustes gegenüber meiner so sehr gewünschten Tochter trotzdem noch zugegen war.
Ich fühlte, dass es einen anderen Weg geben würde, fernab des Alkohols und der daraus resultierenden, besinnungslosen Betäubung meiner Gefühle. Das Gegenteil dessen war der Schlüssel zu meiner inneren Befreiung: Ich musste mich mit all meinen Gefühlen auseinandersetzen. Ich wusste, dass ich mich von meiner Tochter verabschieden musste, wollte ich meinem Sohn eine Chance geben, denn bislang hegte ich eher abweisende Gefühle ihm gegenüber.
Nicht nur, dass der arme Mini unschuldig an meiner Misere war. Aus irgendeinem Grund trug ich nun einen Jungen unter meinem Herzen und selbst wenn ich den Grund noch nicht erkennen konnte, so hatte das alles sicher seinen höheren Sinn. Nun ging es darum, mich von Sarah Elisabeth zu verabschieden.
Ich zelebrierte dafür ein eigenes Abschiedsritual. Wenn ich sage, dass dies kein leichter Schritt war, so ist dies noch untertrieben. Es fühlte sich so schmerzhaft an, als ob mein fiktives Mädchen ganz in Echt gestorben wäre. Denn für mich war es ein kleiner Tod. Für das Abschiedsritual brauchte es nicht viele Äußerlichkeiten. Ein ruhiger Ort, an den ich mich zurückziehen konnte, emotional mich berührende Musik auf den Ohren und Sarah Elisabeth vor meinem geistigen Auge.
Ich stellte mir in allen Einzelheiten vor, wie es gewesen wäre, sie nun als Baby in meinen Armen halten zu dürfen, wie es gewesen wäre, sie großzuziehen, wie ich ihr als erwachsenes Mädchen zur Seite gestanden hätte. Ich fühlte all meine Liebe zu ihr, aber auch den Schmerz, den ich durch ihr Nicht-Dasein spürte. Ich heulte und schrie meine Verzweiflung heraus. Ich gab mich der gesamten Gefühlspalette hin und das empfand ich im Nachhinein als so heilsam. Ich weiß nicht, ob Minuten oder Stunden vergingen, aber irgendwann stand sie als junges Mädchen vor meinem inneren Auge und ich war bereit, ihr Lebwohl zu sagen, ihr zu danken und sie in die geistige Welt zurückkehren zu lassen.
Ich wusste, dass sie als Schutzengel ab sofort für mich da sein würde und dass uns nichts mehr trennen konnte. Sie hatte ihren Platz in meinem Herzen eingenommen und würde dort immer bleiben.
Während der ganzen Zeit des Abschieds klopfte derweil ein anderes Herzchen kaum spürbar unter meinem eigenen. Es war Mini, dem ich mit dem Loslassen von Sarah Elisabeth endlich seinen gebürtigen Platz in meinem Bauch einräumen konnte.
Ich will nicht sagen, dass ich sofort ab dem Zeitpunkt meinen Sohn von Herzen lieben konnte. Das konnte ich nicht. Aber ich konnte endlich die Tatsachen akzeptieren und es einfach geschehen lassen, wie es war. In der Gewissheit, dass die Liebe zu ihm schon wachsen würde, ohne mich selbst unter Druck zu setzen.
Und auf einmal dauerte es gar nicht so lange, wie ich es befürchtet hatte. Schon nach wenigen Wochen wurde unser Band enger und fester und ich freute mich zunehmend auf die Geburt meines zweiten Sohnes. Und nun ist er mein Sohn, den ich -genau wie seinen Bruder- von Herzen lieben kann.
Heute denke ich nur noch selten daran, wie ein Leben mit einem Mädchen wohl wäre. Ich schlendere auch nicht betrübt durch die Mädchenabteilungen von Kaufhäusern oder blicke wehmütig in rosafarbene Kinderwagen anderer Mütter. Das Ritual der Verabschiedung hat mir unglaublich bei meiner persönlichen Verarbeitung der Tatsachen geholfen und es war so notwendig. Heute kann ich mit großer Gewissheit sagen, dass mir kein Mädchen mehr in meinem Leben fehlt. Vielleicht dank dieser Abschiedszeremonie.
Manchmal taucht Sarah vor meinem inneren Auge auf, ganz flüchtig. Dann lächle ich ihr im Geiste zu und sie verschwindet auch gleich wieder. Jetzt, wo ich den Text geschrieben habe, musste ich doch wieder ein paar Tränen vergießen. Tränen der der Dankbarkeit.
Dafür, dass sie mich in den ersten Schwangerschaftswochen für Mini so kämpfen ließ und dafür, dass ich sie in meinem Herzen tragen darf.
Lydia sagt:
Was für ein schöner, berührender Text. Mir fehlen die Worte …
Christine sagt:
♡
Anika sagt:
Wie wundervoll ehrlich. Ich habe das Glück ein Pärchen zu haben und vermisse die innige Jungsliebe die mein großer mir geschenkt hat….
Christine sagt:
Lieben Dank für deine Worte!
Tina sagt:
Mein Herzensmädchen (was für ein wunderschöner Begriff) heißt Elisa Sophie.
Ich hab es 3x erlebt. Bei Söhnchen Nr 1 war’s ok, da ja eh ein 2. Kind geplant war. Als ich dann mit Baby Nr 2 schwanger war, sagte mir fast jeder ich hätte einen Mädchenbauch und da käme garantiert ein Mädchen. Ich wollte es bis zur Geburt nicht wissen. Wollte meinen Mädchentraum wenigstens bis dahin leben. Und dann kam Söhnchen Nr2.
Es war verrückt. Ich war so verliebt in ihn und trauerte trotzdem um meine Tochter die ich nun doch nie im Arm halten würde.
Die Familienplanung war für meinen Mann abgeschlossen. Ich trauerte. Wünschte mir noch ein Kind. Fühlte es fehlt noch jemand. Nicht unbedingt ein Mädchen. Einfach ein Kind. Aber mein Mann wollte nicht.
Dann wurde ich doch ungeplant schwanger. Ich war mir fast sicher. Jetzt ist mein Mädchen unterwegs. Ich hab mich so in deinem Text wiedergefunden. Aber ich wollte es wieder nicht wissen. Ich wusste, wenn ich dieses Kind im Arm hab, dann ist mir das Geschlecht erstmal egal.
Ja und dann kam vor fast einem Jahr mein 3. Sohn auf die Welt. Ich liebe den kleinen Kerl. Und meine 2 Großen auch.
Trotzdem, wenn ich von Schwangerschaften mit Babymädchen höre oder Familien mit Pärchen oder auch nur Mädels sehe, überkommt mich diese große Sehnsucht nach meinem Mädchen. Zu sehen wie eine Tochter von mir wäre. Sie groß werden zu sehen. Mich ihr verbunden zu fühlen in diesem Männerhaushalt. Komischerweise ist das Gefühl, dass noch jemand fehlt, fast verschwunden.
Aber mein Herzmädchen fehlt mir. Manchmal mehr, manchmal weniger. Manchmal quält es mich und manchmal ist alles gut. Deswegen mache ich auch kein Abschiedsritual. Weil ich weiß, dass dieses Gefühl wohl immer bleiben wird. Diese große Sehnsucht nach einer Tochter. Die manchmal ganz laut und manchmal ganz leise ist.
Danke für diesen wunderbaren Text. Ich verstehe dich so gut.
Christine sagt:
Liebe Tina,
ich danke dir von Herzen für deine sehr persönlichen Gedanken deiner eigenen Geschichte!
Es freut mich für dich, aber auch für deine drei Jungs, dass du sie trotzdem von Herzen lieben konntest, von dem Moment an, da du sie kennen gelernt hast. Das ist sicherlich nicht selbstverständlich (besonders nach deiner zweiten Schwangerschaft, in der dir alle gesagt haben, du hättest einen Mädchenbauch!).
Du wirkst sehr mit dir und der Situation im Reinen. Wichtiger als ein Abschiedsritual ist es, das Leben so anzunehmen und alles so akzeptieren, wie es ist. Und es scheint mir, als könntest du das gut, auch, wenn die Sehnsucht nach deiner Elisa Sophie immer mal wieder da ist. Vielleicht ist das auch genau richtig so!
Ich wünsche dir alles Liebe ♡
Christine
SilkeAusL sagt:
Ich wollte „früher “ auch immer ein „Pärchen“. Am liebsten erst Junge, dann Mädchen. Nun ja, das Erste wurde ein Mädchen…ok, dann andersherum. Bei der zweiten Schwangerschaft war ich mit dann sicher , es wird ein Junge. Hast ja den kleinen Jungen gesehen ;)
Aber ich bin jetzt eigentlich ganz froh drum, auch wenn ich die Jungs in unserer Umgebung im Alternative meiner Großen sehe…frech und vorlaut, große Klappe und hören nicht auf Erwachsene….Bei uns kommt das dann wahrscheinlich in der Pubertät, da sollen ja die Mädchen schlimmer sein.
Was den Lärm anbelangt, können Sie aber gerade genauso, deshalb muss ich da jetzt mal zwischen gehen!
Bis bald
LG Silke
Christine sagt:
Hallo Silke :)
Ja, deinen „Jungen“ habe ich kennengelernt – sehr süß! :)
Interessant, wie wir vorher manchmal meinen, dass ein bestimmtes Geschlecht das Beste für uns wären und plötzlich kommt alles anders und das Leben zeigt uns erstmal, was wir verpasst hätten, wenn alles nur nach unseren Wünschen gelaufen wäre.
Ich wünsche dir trotzdem eine ruhige Pubertät ;-)
Bis denne,
Christine
Kristina Anna sagt:
Liebe Christine,
vielen Dank für deine berührenden, ehrlichen Worte. Auch ich muss gerade ein paar Tränen vergießen, nachdem ich deinen Text gelesen habe.
Mein kleines Herzensmädchen (was für ein wunderschönes Wort) heißt Olivia. Sie war meine zweite Schwangerschaft, 7 Monate nachdem mein Maxi geboren wurde und sie hatte das Turner Syndrom.
Ihre Chancen zu überleben waren von Anfang an gering, aber ich habe trotzdem immer gehofft, dass sie es schafft. In der 17. Woche ist sie gestorben und ich habe sie still geboren, was für mich im Nachhinein ebenso einschneidendes und gleichzeitig heilendes Erlebnis war, wie deine Trauer um Sarah Elisabeth.
Als ich dann 1 Jahr später mit meinem Mini schwanger war und erfuhr, dass er ein Junge werden würde, habe ich auch zuerst mehr einen kleinen Stich, als Freude verspürt. Aber der Gedanke, dass es meiner Tochter gut geht und ich mich auch in aller Ruhe von ihr verabschieden konnte, haben diesem Stich nach einer Weile seinen Schmerz genommen.
Mittlerweile denke ich, dass es genauso richtig ist, wie es ist und ich liebe meine beiden Jungs über alles und fühle mich auch ganz wohl so als Henne im Korb ;)
Liebe Grüße und eine ganz schöne Restwoche wünsche ich dir.
Christine sagt:
Liebe Kristina Anna,
ganz herzlich möchte ich mich für deine offenen Worte bedanken! Ich freue mich, dass du mich an deiner bewegenden Geschichte teilhaben lässt!
Ich freue mich sehr für dich mit, dass du durch die stille Geburt so ein heilendes Erlebnis hattest und dich von Olivia somit auch auf der Herzensebene verabschieden konntest. Von Außen lässt es sich leicht sagen, dass es sicherlich genau richtig ist, wie es ist, aber ich finde es beeindruckend, dass du selbst es genauso sehen und fühlen kannst! Auch, wenn der Weg dorthin bestimmt nicht immer leicht war.
Ich wünsche dir alles Liebe mit deinen beiden Jungs und deinem Mädchen im Herzen ♡
Christine
Barbara sagt:
Liebe Christine,
danke für diesen tollen Beitrag. Jetzt ist es schon das 2. Mal, dass ich ein Kommentar auf einen deiner Beiträge schreiben möchte, denn du schreibst mir einfach aus der Seele.
Louisa Marie würde mein Mädchen heißen.
Seit ich denken kann wünsche ich mir ein kleines Mädchen. Früher habe ich immer gesagt: „Wenn mein erstes Kind ein Junge wird, dann möchte ich kein Zweites mehr, denn die „Gefahr“, dass es nochmal ein Junge werden könnte, ist mir zu groß.“
Als ich schwanger wurde, war ich mir ABSOLUT sicher, dass es ein Mädchen werden würde. Ich WUSSTE es einfach, zu 100 Prozent!
Ich war alleine beim Frauenarzt als er mir eröffnete, dass ich einen Jungen bekommen würde.
Ich war am Boden zerstört. Auf der Heimfahrt habe ich Rotz und Wasser geheult und ich musste höllisch aufpassen keinen Unfall zu bauen. Das habe ich noch nie jemandem erzählt – nicht mal meinem Mann…..
Gleichzeitig war ich so wütend auf mich selbst, weil ich mich so aufführte, anstatt froh über einen kleinen gesunden Jungen zu sein. Es schmerzte mich sehr, dass es kein Mädchen war und ich verlor das Vertrauen in meine eigene Intuition. Irgendwann riss ich mich zusammen und sagte mir: „Hey, du hast ein vollkommen gesundes Baby in deinem Bauch, das deine bedingungslose Liebe braucht und das dich genauso liebt.“
Von da an begann ich mich auch über meinen Jungen zu freuen und die SS & Geburt war wunderschön.
Jetzt ist mein Kleiner schon über 2 Jahre alt und ich möchte unbedingt noch ein zweites Kind. Ich sage mir zwar, dass es egal ist welches Geschlecht, aber insgeheim wünsche ich mir natürlich meine kleine Prinzessin.
Mein Kleiner ist ein totaler Wirbelwind und absolut kein Kuschelzwerg und ich wünsche mir ein kleines, süßes Kuschelmädchen. Gleichzeitig macht mir dieser Wunsch Angst. Nicht nur, dass es wieder ein Junge sein könnte, sondern dass es wieder so ein „anstrengender“ und „kräftezehrender“ kleiner Wirbelwind sein könnte.
Und wenn es doch ein kleiner Kuschelzwerg/Kuschelprinzessin wird… ändert es etwas an meinen Gefühlen zu meinem Großen, der absolut keine Nähe zulässt? Habe ich meinen Großen dann weniger lieb, weil ich mich evtl. mit dem / der Kleinen besser identifizieren kann und diese(r) mir dann „näher“ ist?
Das alles lässt mich an einer weiteren SS zweifeln….
Liebe Grüße, Barbara
Christine sagt:
Liebe Barbara,
wahnsinn – du schon wieder ;-) Freut mich sehr, so schnell wieder von dir zu lesen! Noch mehr berührt es mich, dass du so offen über deine geheimsten Gedanken und Gefühle sprichst, obwohl du mich noch gar nicht lange kennst! Ganz lieben Dank für dein Vertrauen!!
Warst du damals dankbar, dass du alleine beim Frauenarzt warst, als du das Geschlecht mitgeteilt bekamst oder hättest du lieber deinen Freund an deiner Seite gehabt? Ich für meinen Teil hätte es ganz schlimm gefunden, dann alleine in der Situation zu sein. Und ich hätte sicher den Unfall gebaut!!
Ich freue mich sehr für dich, dass du einen erneuten Schwangerschaftswunsch verspürst, aber ich kann auch deine Ängste und Sorgen nachvollziehen. Ich glaube übrigens nicht, dass du deinen ersten Sohn weniger lieben würdest, wenn die Beziehung zum zweiten Kind eng(er) ist. Vielleicht würde es dir sogar im Gegenteil leichter fallen, deinen Ältesten noch mehr so zu akzeptieren, wie er ist?
Das sind natürlich alles nur Spekulationen. Den einzigen Rat, den ich dir geben würde, ist der, dich bei Entscheidungen nicht von deinen Ängsten leiten zu lassen. Vielleicht hilft dir auch mein Beitrag „Ein weiteres Kind trotz Wochenbettdepression?“ weiter, auch, wenn du nicht unter postpartalen Depressionen gelitten haben solltest.
Ganz liebe Grüße!
Ich freue mich, wieder von dir zu lesen :)
Christine
Bernadette sagt:
Hallo, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich auf deine Seite gestoßen bin…. Ich weiß gar nicht wo ich zuerst Anfangen soll. Bin nur unendlich glücklich dass ich mit meinen Gedanken, Sorgen Ängste nicht alleine bin….
Ich bin 34 Jahre alt und habe den wundervollsten Sohn (3Jahre) auch ich hatte zu Beginn der Schwangerschaft immer gedacht ich bekomme ein Mädchen und als es dann anders kam hab ich mich riesig über ihn gefreut (weil mein Gedanke immer war sollte ich wieder schwanger werden weiß ich dass ich ein Mädchen bekomme)
Nun bin ich im 7 Monat und erwarte wieder einen Jungen…. meine Welt zerbricht gerade obwohl das zweite Wunder in mir wächst…. ich hasse mich dafür dass ich mir nichts mehr wünsche dass es doch noch ein Mädchen wird…. Ich habe mit meiner Mama auch ein super tolles Verhältnis und wollte auch immer so eine Beziehung mit meiner Tochter… Liebe es zu shoppen und hab mir schon alles ausgedacht was ich mit ihr machen werde…. geschweige von den süßen Mädchenkram… Ich danke dir, dass ich meine Gefühle und Sorgen hier hinterlassen darf….
Ann sagt:
Ich bin durch Zufall auf deinen Blog gestoßen und so froh, mich endlich nicht mehr allein zu fühlen mit all den widersprechenden Gedanken und Gefühlen.
Ich hatte nie einen großen Kinderwunsch und wenn überhaupt sah ich mich als Mutter zweier Mädchen. Ein Junge kam nie in Frage, alle die ich kannte, fand ich doof. Laut, wild, unkreativ, nervig…
Ich wurde ungeplant schwanger, wie kann ich mir nicht ganz erklären. Am Ende meines Studiums, mitten in der Masterarbeit. Mein Körper zeigte mir von Tag eins den Mittelfinger, dank Schwangerschaftsdemenz mein Geist ebenso. Ich hasste den Zustand, schwanger zu sein. Ende des 5.Monats der erlösende Ultraschall. Ein Mädchen! Ich war außer mir vor Freude und endlich endlich konnte ich die Schwangerschaft annehmen. Nun, Ende des 7. Monats dann der Schock. Es wird doch ein Junge. Lapidar dahingesagt von meiner Frauenärztin. Wie, ist das jetzt ein Problem für Sie?!
Ich sah meinen Partner an, der sich ebenso sehr ein Mädchen wünschte und wir beide sahen, wie etwas zerbrach. Auf dem Parkplatz weinten wir eine Stunde, bevor wir heimfahren konnten. Man hatte mir mein Kind genommen und ersetzt, so fühlte ich mich. Keine Liebe mehr, kein Band. Nur Wut, Enttäuschung und unfassbare Trauer. Es dauerte Wochen, bis ich nicht mehr ständig weinte. Von der Schwiegermutter gab es einen Vortrag, wie schade sie das fände, dass es nun doch kein Mädchen wird.. Ja, danke auch… Ich wollte niemanden mehr treffen mit einer Tochter und war wütend auf jede Schwangere mit Mädchen im Bauch…. Nicht mal mehr neidisch, sondern noch viel schlimmer.
Ich hasste meinen Körper, die immer mehr werdenden Risse… Und den Jungen in mir, für den ich das durchmachen musste.
Jetzt ist der kleine Kerl 9 Monate alt und zuckersüß! Ich liebe ihn sehr, jedoch nicht bedingungslos… Dafür hadere ich viel zu sehr mit der Mutterrolle selbst. Die Fremdbestimmung, die Tatsache, im Studium nie Feierabend gehabt zu haben und mit der Schwangerschaft alle Pläne für danach das Klo runter spülen zu müssen und auf unbestimmte Zeit rund um die Uhr zu funktionieren, macht mich kaputt.
Ich wünsche mir dennoch ein zweites Kind. Zum einen weil ich kein Einzelkind haben will und zum anderen auch, weil ich mir so sehr ein Mädchen wünsche… Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich meinen Sohn dann endlich voll und ganz annehmen kann.
Aber ich habe panische Angst, dass es auch wieder ein Junge wird…
Ich werde in Kürze erneut eine Therapie beginnen, da ich in und mit meinem neuen Leben glücklich werden will.
Christine sagt:
Liebe Ann,
vielen Dank für deinen Mut, hier so offen von deinen Gedanken und Gefühlen zu schreiben!
Ich kann mir gut vorstellen, in welchem Gefühlswirrwarr du dich in deiner Situation befinden musst und wie schwer es für dich und deinen Partner war, als ihr erfahren habt, dass du doch ein anderes Geschlecht als erhofft im Bauch getragen hast.
Ich wünsche dir alles Liebe und dass dir Therapie helfen kann, wieder zu deinem Glück zurückzufinden!
Ganz herzliche Grüße
Christine