Lebensfragen

Das falsche Geschlecht?

„Tja, das wird wohl nichts mit Ihrem Mädchen, Ihr Baby im Bauch ist eindeutig ein Junge.“ Die Worte meines Frauenarztes klangen weit entfernt und ziemlich unwirklich. Ich lag auf der Behandlungsliege und konnte es nicht glauben, was mein Arzt mir da sagte.

Lange bevor ich überhaupt an echte Kinderplanung denken konnte, schon als kleines Mädchen wusste ich, dass ich einmal zwei Kinder kriegen möchte. Und zwar zwei Mädchen. Soviel stand schon damals fest, daran gab es nichts zu rütteln. Erstens habe ich ebenfalls eine Schwester, zweitens ist die Suche nach einem schönen Vornamen für Mädchen deutlich einfacher. So war meine Logik als Kind. Nachdem ich mich schon in der ersten Schwangerschaft erstmal eine gewisse Zeit mit der Niederkunft eines Sohnes anfreunden musste, war das beim zweiten Mal deutlich schwieriger, schließlich musste ich mich jetzt von Einigem verabschieden, was ich mir für die Zukunft ausgemalt hatte: Rosa Babyklamotten kaufen, Prinzessinnenkostüme zu Karneval nähen oder einfach nur zu sehen, wie meine Tochter als „Mini-Ich“ aussähe.

Dass es für manche Frauen eine Frage nach dem richtigen oder falschen Geschlecht gibt, wird in unserer Gesellschaft immer noch nicht so richtig akzeptiert. „Ist doch egal ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, Hauptsache es ist gesund.“ Meine ebenfalls schwangere Kollegin schüttelte verständnislos den Kopf. Und ich entwickelte zunehmend Schuldgefühle meinem Ungeborenen gegenüber, schließlich konnte das kleine Wesen in mir nichts dafür, dass ich sein Zimmer am Liebsten in Rosa gestrichen hätte.

Mit einem milderen Blick auf mich selbst, konnte ich mir aber auch sagen, dass ich auch nichts dafür konnte, dass mir das Geschlecht so wichtig schien. Vielleicht machte mir einfach die Vorstellung Angst, ich könnte einem Jungen die Welt nicht richtig erklären, schließlich denke ich wie ein Mädchen. Dass es noch einen Kindsvater gibt, der meinen Söhnen das dann nahe bringen kann, war für mich damals kein Argument.

Tage- und Nächtelang googlete ich nach schönen Jungennamen (es ist tatsächlich schwer, Schöne zu finden, die nicht zufällig schon im engeren Bekannten- und Familienkreis vertreten sind, aber es gibt sie!), begann mich damit abzufinden, dass kleine Jungs nur Blau, Braun oder ab und zu Gelb tragen können, ohne gleich als Mädchen identifiziert zu werden und machte mich mit dem Gedanken vertraut, in Zukunft Bilderbücher über Mähdrescher vorzulesen und die Jungs später im örtlichen Fußballverein anzumelden.

Inzwischen habe ich die Enttäuschung über die fehlende Tochter im Haus längst überwunden. Dafür bleiben mir kleine Diven im Kindergarten, Wünsche einer Brustvergrößerung im Pubertätsalter und etliche andere „Mädchensorgen“ erspart, die ich selbst schon mal alle durch hatte. Ich kann aber jede Mutter verstehen, die im stillen Kämmerlein um ihren verlorenen Sohn oder die nicht vorhandene Tochter weint. Ich weiß inzwischen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man sein Kind liebt.

Aber wenn man es einmal liebt, dann liebt man es des Kindes wegen.

Und nicht wegen seinem Geschlecht.

Titelbild mit freundlicher Unterstützung von Insung Yoon

8 Gedanken zu „Das falsche Geschlecht?“

  1. Arlene sagt:

    Ich kann Dich so gut verstehen. Ich habe drei Jungs. Und jeses Mal wünschte ich mir eine Tochter. Ich hatte mindestens 20 schöne Mädchennamen. Freute mich auf Röcke und Kleider kaufen.
    Ich muss immernoch seufzen, wenn meine Jungs beim Anblick eines Traktors, Feuerwehr- oder Polizeiautos jubeln. Oder wenn Fremde zu mir sagen:“ da fehlt ja jetzt nur noch ein Mädchen“ – und ich genau weiß, wenn wir es nochmal probieren würden, käme doch wieder ein Junge bei raus (oder vielleicht noch Zwillings-Jungs).
    Klar liebe ich meine Jungs über alles – keine Frage. Aber…
    Herzliche Grüße
    Arlene

    1. Christine sagt:

      Hallo Arlene,

      ja bei mir ist es definitv auch klar, dass ich keine „Mini-Me“ mehr sehen werde. Wir wollten immer nur zwei Kinder und da ist eine weitere Schwangerschaft (und eben eine dritte Chance auf ein Mädchen) nun absolut ausgeschlossen.
      Danke für deinen Zuspruch und deinen ehrlichen Einblick in deine eigene Gefühlswelt!

      Liebe Grüße
      Christine

  2. flausheep sagt:

    hallo.

    echt toller blog. ich lese ihn wie einen Roman. diesen Beitrag sogar schon zum 2. Mal. „ein Junge“ .. und *zack* . mein Traum, den ich seit meiner Kindheit habe und in all den jahren (20?!) perfektioniert habe, ist geplatzt. mein 2. Kind wird auch ein Junge.
    ich liebe meinen Sohn so sehr. wenn ich ihn ansehe würde ich niemals etwas an ihm ändern wollen. aber dennoch musste das 2. ein Mädchen werden. warum weiß ich nicht, schließlich bin und war ich selbst nie ein typisches Mädchen. aufgewachsen mit 2 Brüdern und 3 Cousins spielte ich selbst nur Fußball, Lego und mit Autos. in der Pubertät trug ich nur Schwarz und hörte düsteren Metal. und doch wollte ich unbedingt dieses eine Rosa Kleidchen und die kleinen Schuhe mit den Blümchen drauf kaufen.
    das 2. wird ein junge. schlagartig musste ich mich, so wie du, von meiner langersehnten Tochter verabschieden. es hat Tage gedauert. ich hab viel geweint und gleichzeitig plagten mich schuldgefühle.

    aber was mir am meisten Angst macht, was ich bei vielen jungs, auch bei meinen eigenen Brüdern, beobachten konnte: viele jungen pflegen den kontakt zu den Eltern nicht so wie es ein mädchen machen würde, wenn sie ausgezogen sind. zudem habe ich, als mutter des Jungen wenn er und seine zukünftige Frau Nachwuchs erwarten, viel weniger Zugang zu der Schwangerschaft und das Baby. da diese natürlich zuerst zur eigenen Mutter gehen wird, wenn sie Fragen hat..

    letztendlich habe ich mich damit angefreundet. und ich kann mich jetzt auf unseren 2. bub mit ganzem Herzen freuen.

    ich danke dir für deinen tollen beitrag, und den super Blog. er hat mich durch eine schwere Zeit begleitet (nicht nur auf das „mädchen“ bezogen)

    lg

    1. Christine sagt:

      Liebe flausheep,

      wow, ein schöneres Kompliment hättest du mir gar nicht machen können, wenn du sagst, dass du meinen Blog wie einen Roman liest ♡ Das freut mich wirklich, wirklich sehr, wo ich doch so gerne schreibe. Danke dir!
      Es ist für mich sehr berührend, deine Geschichte lesen zu dürfen. Zwanzig Jahre hast du dich auf ein Mädchen eingestellt (darf ich fragen, was du mit „perfektioniert“ meinst? Also hast du bewusst versucht, nach „Termin“ schwanger zu werden, damit es ein Mädchen wird?) und jetzt ist es doch wieder ein Junge geworden. Vielleicht wolltest du ja gerade deswegen ein Mädchen haben, weil es ein großer Kontrast (auch zu deinem eigenen Erwachsenwerden) gewesen wäre. Immerhin gibt es ja auch zig Frauen, die sich unbedingt einen Jungen wünschen und sie selbst hatten nichts „männliches“ an sich…

      Ich verstehe deine Ängste in Bezug auf später, allerdings würde ich mich davon nicht verrückt machen! Sicherlich gibt es viele Männer, die eine enge Beziehung zu ihrer Mutter pflegen und sie nah am Familienleben teilhaben lassen; nur sind das eben nicht die Klischee-Männer, von denen man immer so hört. Ich glaube, wenn die Beziehung zwischen Mutter und Kind gut ist, ist das Geschlecht zweitrangig. Außerdem kannst du ja jetzt auch noch nicht wissen, was für eine tolle Schwiegertochter dich erwarten wird :)

      Es freut mich, dass du dich inzwischen von Herzen auf deinen Sohn freuen kannst, immerhin war es eine sehr lange Zeit, die du dich auf ein Mädchen eingestellt hast. Und mir kommt gerade noch ein Gedanke: Möglicherweise ist es für dein zweites Kind (und auch für dich!) ein sehr großes Glück, dass es ein Junge wird. Vielleicht hätte ein Mädchen deiner so perfektionierten Wunschtochter gar nicht gerecht werden können und du hättest sie im Hinterkopf immer mit deinem Ideal verglichen…(das denke ich im Übrigen auch rückblickend auf meine eigenen Kinder).

      Ich bin mir sicher, alles ist so geschehen, wie es geschehen sollte. Du wirst eine tolle Jungsmama werden (bzw. bist du es ja schon zur Hälfte ;-))!
      Liebe Grüße und danke für deinen Hinweis, dass dich mein Blog durch eine weitere, schwere Zeit begleitet hat. Das bedeutet mir so viel, denn genau das ist der Grund, warum ich schreibe ♡

  3. Julia sagt:

    Hallo liebe Christine
    seit gestern lese ich deinen Blog und finde so Trost für meine „inakzeptabelen“ Gedanken. Ich bin mit unserem dritten Kind schwanger. Ich muss sagen ich wollte immer 3 Kinder mein Mann war glücklich mit unseren 2. Nach langem hin und her wollte er auch ein 3. Kind und plötzlich waren da diese Zweifel. Schaffe ich das 3 Kindern gerecht zu werden usw
    Mein Mann meinte nur du wolltest immer 3 also wenn dann jetzt. Ich weiß es klingt schrecklich,aber ich wollte immer nur ein 3tes wenn es ein Mädchen würde
    Wir haben eine Sohn und eine Tochter und auch wenn ich beide sehr liebe, empfinde ich unseren Sohn als viel anstrengender als unsere Tochter
    In den Nächten bevor wir versucht haben noch ein Kind zu bekommen habe ich viel nachgedacht und hatte viele Zweifel
    Wir haben dann tatsächlich versucht bewusst ein Mädchen zu Zeugen. Schon als ich den positiven Schwangerschaft Test in den Händen hielt durchfuhr mich die nackte Panik. Plötzlich waren alle Zweifel viel lauter in meinem Kopf als die Argumente mit denen ich meinen Mann überzeugen konnte. Diese Panik hielt über Tage ich bin nachts aufgewacht und dachte nur nein dass kann nicht wahr sein. Schon bald fing meine starke SchwangerschaftÜbelkeit an und ich war für Monate wie gelähmt und konnte mich um nichts kümmern. In dieser Zeit gab es immer Tage in denen ich über Abtreibung nach gedacht habe. Alle sagten warte bis es dir besser geht, dann wirst du dich freuen. Jetzt bin ich schon am Ende der AbtreibungFrist, ich kann nicht abtreiben weil ich denke ich könnte es mir nicht verzeihen. Gestern beim Arzt kam dann das outing dass wir einen Jungen erwarten. Ich fühle mich wie taub. Ich habe keine Freude beim Ultraschall gespürt unser Kind, das ich doch unbedingt wollte, zu sehen. Meine Übelkeit ist mittlerweile mit starken Medikamenten unterdrückt. Dieses „sich nicht freuen“ kommt also nicht davon. Ich habe mir so sehr noch einen Schwester für meine Tochter gewünscht. Ich weiß auch wo der Fehler bei der Zeugung lag und hasse meinen Mann dafür ,dass er mich so unter Druck gesetzt hat „heute noch“ sonst klappt es nicht mit schwanger werden..
    Ich habe das Gefühl dieses 3 Kind das sowieso in so “ viele Zweifel“ geboren wird wegen seines Geschlechts nicht lieben zu können. Ich denke ich werde immer denken ein 3 Kind wäre nicht notwendig gewesen und macht nur alles schwerer(Auto, Haus, Urlaub) und dass nur für einen Jungen
    Ich weiß das klingt alles furchtbar

    1. Christine sagt:

      Liebe Julia,

      zuerst einmal: Fühl dich gedrückt, wenn du magst! Es klingt, als stündest du sehr unter Anspannung, im Grunde seit der Zeugung eures dritten Kindes bis jetzt. Ich wünsche dir, dass du einmal tief durchatmen und ein wenig zur Ruhe kommen kannst, denn dein jetziger Zustand muss sehr anstrengend sein, zumindest fühlt es sich beim Lesen so an.

      Ich kenne diesen „Raum“, in dem sich alles so taub und unwirklich anfühlt. Es ist wie in einem schlimmen Albtraum, aus dem man nicht aufwacht und das Gefühl hat, egal wie und wofür man sich entscheidet, es würde trotzdem nicht gut.

      Ich möchte dir ein wenig Mut zusprechen, auch, wenn du meine Worte heute vielleicht nicht annehmen kannst. Du brauchst deinen Mann nicht dafür zu hassen, dass die Zeugung zum falschen Zeitpunkt stattfand. Niemand weiß, ob es unter den „richtigen“ Bedingungen überhaupt ein Mädchen geworden wäre. So sehr man in der Hinsicht schon viel beeinflussen kann, aber Gott spielen können wir nicht (ich weiß es, weil ich laut „logischen“ Berechnungen ein Junge hätte werden müssen ;-)). Also brauchst du weder dir noch deinem Mann die Schuld zu geben; das Leben entscheidet, welches Geschlecht es wird.

      Ich verstehe deine Sorgen und Zweifel, wie es nun weitergehen soll, auch in Bezug auf die schwierigen Startbedingungen für den Kleinen. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass uns das Leben (oder die göttliche Kraft, wie du es nennen magst) auch hier wohlwollend unterstützt, auch, wenn wir es vielleicht nicht sofort erkennen können. Auf jeden Fall hat es dir ein drittes Kind zugetraut!

      Ich wünsche dir jetzt erst einmal vor allem, dass du für dich ein wenig zur Ruhe kommst und den Kampf mit dir, deinem Mann oder dem Leben selbst, loslassen kannst und Vertrauen entwickelst für das, was kommt. Auch, wenn die Liebe zu deinem Sohn noch verschüttet ist von der Trauer um die nichtvorhandene, aber so sehr gewünschte, zweite Tochter. All diese Trauer darf sein! Nur so kannst du irgendwann akzeptieren, was ist.

      Du bist nicht alleine.

      Herzlichst,
      Christine

  4. Wuschelpferd sagt:

    Hi Christina,
    Ich bin so froh diesen Block gefunden zu haben. Er hilft mir meine Gedanken ein wenig zu akzeptieren und ich weiß ich bin nicht die einzige die solche Gedanken hat.
    Nach dem mein Freund letztes Jahr an Krebs erkrankt ist aber zum Glück alles gut überstanden hat und der Kinderwunsch besonders bei mir sehr ausgeprägt war haben wir uns entschlossen es zu probieren da der Krebs ja jederzeit wieder kommen kann. Nach 3 Monaten war ich dann schließlich schwanger und die Freude gerade in mir war überwältigend bis vor 3 Wochen wo das Geschlecht zum erstenmal zu sehen war. Der Arzt sagte nur das könnte das eventuelle Geschlecht sein worauf ich dann antworte ein Junge und er dann nur noch meinte sehen sie da was. Jeden Tag guck ich auf dieses Ultraschalbild und frage mich ob es vielleicht doch nur die Narbelschnur ist und habe immer noch die Hoffnung das es ein Mädchen wird. Ich hasse mich für diesen Gedanken und als ich den Tag beim Arzt raus kam musste ich einfach nur noch heulen. Dann gab es Tage an den ich mich mit dem Gedanken angefreundet hatte und gestern erfahre ich wieder das ne bekannte ein Mädchen bekommt und ich bin wieder in dieses Loch gefallen. Mein Partner hat schon ein Sohn und es ist alles andere als einfach. Für Ihn alleine hätte ich mir schon ein Mädchen gewünscht und ich wollte auch immer ein Mädchen. Ich sehe halt was ich für eine Bindung zu meinen Eltern habe und wie mein Bruder halt gar nicht oder beziehungsweise ziemlich abgerutscht ist mit Drogen. Ich habe solche Angst einen Jungen nicht gerecht zu werden , das er genau so abrutscht wie mein Bruder. Das man kein schönes Hobby findet sowie ich halt seit Kind an das Reiten liebe.
    Ich kann mit Jungs halt einfach nicht so und ich merke jetzt schon das mich von Freunden fern halte die Mädchen bekommen weil es einfach so weh tut.

    Lg

    1. Christine sagt:

      Liebes Wuschelpferd,

      es tut mir leid zu hören, welchen Schmerz du momentan durchmachst!
      Das viele Warten und Hoffen und nun kommt die Angst hinzu, einem Jungen nicht gerecht werden zu können. Es ist gut, dass du deinen Schmerz hinauslässt und dir die Tränen gestattest, denn nur so kann Heilung geschehen, auch, wenn es manchmal länger dauert, als wir es uns wünschen.
      Ich wünsche dir sehr, dass in der Beziehung und in deinem Erleben mit deinem Sohn die positiven Erlebnisse überwiegen werden und deine Ängste kleiner werden können.

      Alles Liebe dir
      Christine

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