Vielleicht hast du von Hochsensibilität schon mal gehört. Es geht dabei darum, Alltagssituationen, Sinneseindrücke und Stimmungen als extrem stressig zu empfinden.
Gerade, wenn man Mutter wird, nimmt der Stress bei vielen Betroffenen nochmal zu, weil sie nun quasi rund um die Uhr Stressfaktoren ausgesetzt sind: Schreien und Quengeln der Kinder, das Gefühl der Fremdbestimmtheit oder ständige Konfrontationen mit Familienmitgliedern, anderen Eltern oder Experten, die ihnen sagen, wie sie es in der Erziehung besser machen könnten, und die Mutter sich dadurch überfordert fühlt.
Als ich 2013 zum ersten Mal einen TV-Bericht zum Thema Hochsensibilität sah und mir anschließend die Bücher „Zart besaitet“ von Georg Parlow und „Hochsensible Mütter“ von Brigitte Küster (ehem. Schorr) bestellte, war ich zutiefst erleichtert von der Erkenntnis, für mein Leiden nun einen Namen zu haben.
Endlich musste ich mich nicht mehr alleine oder gar falsch fühlen: Die Schwierigkeiten, die ich mit meinem Muttersein und auch mit meinen Kindern hatte, konnte ich nun einordnen, denn ich war ja schließlich von Geburt an mit diesem Wesenszug von der Natur ausgestattet, der es mir schwer machte, mit Stress umzugehen (kleiner Einschub: Diese uneingeschränkte Annahme spiegelt sich in nahezu allen Blogbeiträgen bis August 2019 wider. Zwei Monate später verfasste ich den Beitrag: „Hochsensibilität und fehlende Mutterliebe als Folge von Entwicklungstrauma? Mein persönlicher Weg zu mehr Muttergefühl„).
Etwa zeitgleich beschäftigte ich mich im Jahr 2013 parallel zum Thema Hochsensibilität viel mit Psychologie und Bindungsstörungen. Die Aufarbeitung meiner eigenen Kindheitsgeschichte war mir stets genauso wichtig, wie die Beziehung zu meinen Kindern (allen voran die zu meinem Ältesten, nach dessen Geburt ich lange unter einer postpartalen Depression litt). Aber noch wollte ich damals nicht wahrhaben, dass die Hochsensibilität lediglich ein Name für die Auswirkungen eines Traumas sein könnte.
Diese Erkenntnis traf mich erst, als ich mithilfe von einer Trauma-Therapeutin an meine eigene Kernproblematik stieß und mich noch eingehender mit den Gemeinsamkeiten von dem geringen Stresstoleranzfenster nach einem Entwicklungstrauma und dem Nervensystem bei einer Hochsensibilität befasste.
Inmitten der Schwierigkeit liegt die Möglichkeit.
Albert Einstein
Es gibt verschiedene Theorien zur Hochsensibilität. Die Wissenschaft geht davon aus, dass diese Hypersensitivität von Geburt an als Wesenszug besteht und weitervererbt werden kann.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die dieser Theorie widersprechen. In diesem Video-Chat diskutieren Logotherapeutin Elena Pfarr und Psychotraumatologe Franz Ruppert über die Wahrscheinlichkeit, dass Hochsensibilität eine Folge von frühen Traumata darstellt, die bereits vorgeburtlich stattgefunden haben können.
Wie oft sagen wir gerne „Ich kann nicht anders, ich bin eben hochsensibel“ und verfallen damit in eine bequeme, passive Haltung, die es uns selbst erschwert, in eine gesunde Konfrontation mit unseren Ängsten zu gehen?
Heute gebe ich zu, dass ich mich selbst lange Zeit sehr gerne hinter dem Begriff der Hochsensibilität versteckt habe. Wahrscheinlich aus Selbstschutz. Zum einen ist es -trotz des Stresses und der Belastungen, derer ich ausgesetzt bin- auch ein schöner Gedanke, eine „Gabe“ zu haben, eine von der Natur Ausgewählte zu sein, die als positiven Nebeneffekt besonders empathisch oder gefühlsstark ist. Zum anderen möchte Niemand gerne zugeben (auch vor sich selbst nicht), dass er noch heute unter den Folgen einer geschwächten Bindung zu seinen Eltern oder gar einer Persönlichkeitsstörung leidet. Da lebt es sich deutlich besser mit dem positiv besetzten Namen der Hochsensibilität. Zumindest ich für mich kann das so unterschreiben.
Hochsensibilität ist für mich keine schöngeredete Lüge zur Verschleierung einer traumatischen Vergangenheit, sondern der Ausdruck des durch ein Trauma gestressten Körpersystems.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die These: „Hochsensibilität entsteht als Folge eines Entwicklungstraumas“ meine persönliche Sichtweise darstellt und Niemanden in seiner Denkweise diskriminieren oder zum Umdenken bewegen soll. Es ist meine ganz individuelle Ansicht, eine geschlagene Brücke zwischen zwei (auf den ersten Blick) scheinbar verschiedenen Welten, die sich, zusammengeführt, nach all den Jahren aber als sehr richtig und stimmig für mich anfühlt. Das entspricht meiner Wahrheit und muss keine allgemeine Wahrheit sein.
Ich möchte dich gerne dazu ermutigen, wenn du dich von dem Thema Hochsensibilität angesprochen fühlst, dich auf deinen persönlichen Weg zu machen, nach Gründen und Ursachen deiner Stressanfälligkeit zu suchen und dir deine eigene Meinung zur Hypersensitivität zu bilden.
Entscheidend ist für mich, nachdem ich nun seit über sieben Jahre Mutter bin, der Faktor Selbstfürsorge. Hochsensible Mütter (gleich welcher Ursache) sind im hohen Maße dazu aufgefordert, gut für sich selbst zu sorgen, Strategien zur Stressbewältigung und zur Selbstregulation zu finden sowie mitfühlend mit sich selbst umzugehen.
Damit helfen wir nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Kindern am meisten.