Manchmal, da ruft sie förmlich nach mir: Stille, Hüterin von Wahrheit und Weisheit. Wenn der Trubel im Außen zu wild, die Welt da Draußen zu laut wird, dann sehne ich mich nach Rückzug, Ruhe und Geborgenheit. Ich glaube es ist kein Zufall, dass Viele eine unstillbare Sehnsucht nach dieser Art der Ruhe verspüren. Die Hektik des Alltags, der Lärm einer Welt, in der es nur höher, schneller und weiter gibt, überfordert das überempfindliche Gemüt.
Wir sehnen uns nach einem Gegenpol, einen Ort, an dem wir einfach mal wieder nur uns selbst wahrnehmen, unserem eigenen Herzschlag lauschen können und ganz bei uns ankommen. Die Stille schenkt uns diesen Ort.
Viel zu oft funktionieren wir im Alltag. Schenken den Kindern unsere Aufmerksamkeit, leihen der Nachbarin ein Ohr und fragen den Mann abends nach seinem Befinden. Dann, wenn die Kinder im Bett sind und wir endlich Zeit für uns haben, kommen wir trotzdem kaum zur Ruhe. Die Umtriebenheit des Tages hat längst das Ruder übernommen, lässt uns nun auch noch rastlos durchs Fernsehprogramm zappen, die Wäsche falten oder nochmal zum Telefonhörer greifen.
Es gleicht schon einer Kunst, innezuhalten und die Stimme in uns wahrzunehmen, die leise nach uns ruft, uns zur Einkehr ermahnt, hin zu unserem Wesenskern.
Dann sollten wir ihr folgen, hinspüren zu unseren eigentlichen Bedürfnissen. Wonach ist mir jetzt? Nach einem Spaziergang um den Häuserblock? Nach dem Zeitschriftenartikel über Buddhas Weisheiten? Oder möchte mein Geist lieber zur Ruhe kommen, während ich die Flamme einer Kerze so lange betrachte, bis ich die Zeit vergesse?
Manchmal reicht mir diese Art der kurzweiligen Stille nicht. Dann möchte ich schweigen. Stundenlang, am liebsten einen ganzen Tag lang oder gleich eine ganze Woche. Nicht reden, mit Niemandem. Keine Zerstreuung im Außen suchen, einfach in mich gekehrt sein, mit meinen Gedanken ganz bei mir. Es ist wie eine intime Begegnung mit mir selbst.
Anne D. LeClaire, Autorin des Buchs „Die Entdeckung des Schweigens“ praktiziert diese Art der Stille seit vielen Jahren zweimal im Monat. Ihr Buch hat mich in meiner Sehnsucht bestärkt, damals, als ich das Werk zufällig im Regal der örtlichen Bücherei stehen sah.
Eindrucksvoll beschreibt sie ihren Weg in die Stille, ihre Höhen und Tiefen und die Konfrontation mit sich selbst. Denn Stille kann auch abschrecken, Angst einjagen. Wer sind wir, wenn wir nicht vom Außen abgelenkt sind? Wie halten wir uns selbst aus, wenn unsere Ängste, Schwächen und Unzulänglichkeiten ins Zentrum unserer Wahrnehmung treten? Können wir uns selbst ins Gesicht sehen?
Nicht reden, nur schweigen, mir selbst wieder zuhören. Als Mutter gar nicht so einfach umzusetzen. Zumindest dann nicht, wenn das Kind noch klein und zuhause ist, Mama als ansprechbares Gegenüber braucht.
LeClaire zog auch das rigoros durch, schwieg selbst an den Geburtstagen ihrer Kinder, wenn diese zufällig auf ihren Schweigetag fielen. Auf manche mag das egoistisch wirken, ich selbst wollte meinen Kindern dieses besondere Geburtstagserlebnis auch ersparen. Und dennoch: Zeigt es nicht auch die bedingungslose Liebe einer Frau zu sich selbst?
Übermorgen werde ich eine ganze Woche Zeit nur mit mir selbst verbringen. Sieben Tage Ferien auf einem Reitgestüt weit weg von zuhause. Tagsüber werde ich im Sattel sitzen, abends Zeit alleine im Hotel verbringen.
Natürlich bin ich nicht ganz alleine. Und ich werde nicht durchgehend schweigen. Und dennoch wird es für mich ein Rückzug zu mir selbst sein. Zeit, die ich mit mir im Beisein Anderer verbringe.
Ich freue mich schon auf die Begegnung mit mir selbst. Und ich hoffe, dass ich mir nach dem Urlaub viel davon wieder mit in meinen Alltag nehmen kann.