Den Sand zwischen meinen Füßen, der Blick auf den Horizont gerichtet. In einem Rhythmus, den nur die Gezeiten kennen, spülen die Wellen Salzwasser in meine Richtung und ziehen sich anschließend wieder zurück. Hier am Meer bin ich ganz ich selbst. In Balance mit mir und meinem Leben. Es gibt keinen anderen Ort, der mir so einen Frieden bringt und mich gleichzeitig so stark fühlen lässt. Außer mein Mann.
Was bedeutet es für mich, in Balance zu sein? Wann bin ich es nicht?
Der große Hund hinter dem Gartenzaun, der urplötzlich zu bellen anfängt, wenn ich daran vorbeispaziere und mir einen Riesenschrecken einjagt. Der nagende Zweifel in mir, ob ich meine Bekannte gekränkt haben könnte, weil sie sich so lange schon nicht meldet. Der Bastelnachmittag im Kindergarten, an dem mich eine Höllenlautstärke empfängt, weil alle anwesenden Kinder wild durcheinander kreischen.
Solche Stimmungen prasseln sehr stark auf mich ein. Oft bemerke ich die Auswirkungen auch unmittelbar. Ich fühle mich aus der Bahn geworfen oder empfinde sogar tatsächliche Schmerzen. Wenn ich mich nicht zurückziehen oder die Ursache abstellen kann, reagiere ich äußerst unentspannt. Ich bin dann nicht mehr in meiner Balance sondern (im wahrsten Sinne des Wortes) außer mir.
Im Alltag fällt es mir mal mehr, mal weniger leicht, mein Gleichgewicht schnell wieder zu finden. An manches gewöhnt man sich mit der Zeit, an vieles aber auch nicht. Wie sieht das bei unseren Kindern aus? Sie leben im Hier und Jetzt, scheinen von einer Sekunde auf die andere von Streit auf Frieden, von Weinen auf Lachen, von Frust auf Glück umstellen zu können. Ein Phänomen von Vielen, an das ich mich noch nicht gewöhnt habe.
Gleicht nicht das Leben selbst einem Tanz auf dem Seil?
Immer im Bestreben, die Balance zu halten.
Im Kleinen wie im Großen.
Der Job, der die Lebensgrundlage gesichert hat und nun gekündigt wurde. Die Beziehung, die längst nur noch aus Streit und Vorwürfen besteht und eines Tages zerbricht. Der Traum vom Leben am Meer, der platzt wie eine Seifenblase.
Manche Dinge können einen dermaßen aus der Balance bringen, dass man meint, das Seil nicht mehr erkennen zu können, auf dem man mal getanzt hat. Damals, als man noch schwebte vor Glück. Sorglos und voller Neugier, was das Leben einem noch bringen mag.
Je tiefer man fällt, je weiter man entfernt ist von sich selbst, desto schwerer fällt es, Kraft für den Rückweg, hin zu sich selbst, aufzubringen.
Nur, was uns emotional viel bedeutet, hat so viel Macht,
uns weit von uns weg zu schubsen.
Wer bestimmt, wie sehr uns etwas aus der Fassung bringen kann?
Im Nachhinein stellt sich Vieles als Glück heraus. Eine bessere Arbeitsstelle, die wir einige Zeit später antreten konnten. Die Trennung vom Partner, die uns stärker machte und uns erst unsere eigene Freiheit entdecken ließ. Die Gewissheit, dass sich der richtige Wohnort irgendwann finden wird.
Wie soll ich meinen Kindern eine ausgeglichene Mutter sein, wenn ich selbst auf zwei Beinen mit dem Gleichgewicht kämpfe? Ich steige wieder auf mein Seil, wackelig noch die ersten Gehversuche.
Der Alltag holt mich wieder in die Gegenwart zurück, die Balance ist wiederhergestellt.
Foto mit freundlicher Unterstützung von © Bella Huang, unsplash.com
Lisa sagt:
Liebe Christine,
dein Post hat mich sehr berührt. Zuerst einmal möchte ich dir sagen, wie toll ich deinen neuen Blog finde! Ich bin selbst hochsensibel und das Mutter-Dasein hat mich erstmal ziemlich aus der Bahn geworfen. Das Thema hochsensible Mütter ist so wichtig und zu lesen, dass es anderen ebenso geht und man selbst nicht „falsch“ ist, tut sehr gut und hilft mehr als alles andere.
Und auch wenn es vielleicht gerade alles sehr turbulent zugeht im Leben, es kommen wieder andere Zeiten und neue Wege zeigen sich – einen davon sehen wir schon hier :)
Ich wünsche dir alles Liebe.
Lisa
Christine sagt:
Und wenn mich jetzt etwas wirklich sehr berührt und mein Herz erwärmt hat, liebe Lisa, dann ist es dein Kommentar!
Denn mir tut es auch gut zu hören, wenn sich andere hochsensible Mütter in meinen Texten und meinem Mama-Blog wiederfinden.
Kommentare wie deiner sind deshalb für mich die eindeutige Bestätigung, dass es genau die richtige Entscheidung war, dem Blog diesen Schwerpunkt zu verpassen.
Ich danke dir sehr! Alles Liebe dir; ich würd mich freuen, wenn du mal wieder vorbeischaust!
Christine
Uwe sagt:
Auch wenn ich nicht als Mutter unterwegs bin, hat mich Dein Post berührt. Die Stimmungen, die Gefühle und Gedanken kenne ich selbst so gut.
Ich lerne noch mit meiner eigenen Hochsensibilität umzugehen. Allein zu entdecken was einen anders zu sein scheint, was einen ausmacht und wieso ich so bin, war eine große Veränderung.
Ich stöbere gern weiter bei Dir und kann den Traum von Meer so gut verstehen…
Christine sagt:
Lieber Uwe,
auch wenn du bekennende „Nicht-Mutter“ bist, heiße ich dich ganz herzlich auf meinem Mama-Blog willkommen :-)
Es freut mich, dass ich dich mit meinem Beitrag erreichen konnte. Ich wünsche dir auf deinem „Entdeckungstrip“ vor allem, dass du die vielen positiven Aspekte der Hochsensibilität erkennen und schätzen kannst und nicht so sehr mit den scheinbar Negativen haderst.
Ich freue mich, wenn du auch weiterhin bei mir mitlesen magst!
Viele Grüße
Christine
Lila sagt:
Huhu
Ich wünsche mir den Newsletter .
Vg Lila
Christine sagt:
Hallo Lila,
wie schön, freut mich :-) Einfach das Formular im Footer ausfüllen und schon gehts los ;-)
Nesrine sagt:
Spannender Blog!
Christine sagt:
Danke dir :)
July sagt:
Liebe Christine,
ich bin gestern Abend bei einer Recherche nach dem Begriff „Regretting Motherhood“ auf deinen Blog aufmerksam geworden, weil ich mal wieder einen super anstrengenden Tag hatte, mein kleiner Sohn (10 Monate) seit vielen Wochen schlecht schläft und wir ständig krank sind und meine Nerven aufs Äußerste gespannt sind. An solchen Tagen frage ich mich oft, wieso ich mit meiner Mutterrolle so viel schlechter zurecht komme, als andere und ob ich als Mutter ungeeignet bin, dabei mache ich wirklich einen tollen Job. Ich bin hochsensibel und habe auch eine jüngere Schwester, in der ich Gott sei Danke jemanden habe, der mich versteht und der mich in vielen Dingen nicht für Verrückt erklärt, weil mich Geräusche oder Gerüche stören, die andere gar nicht wahrnehmen. Seit der Geburt meines kleinen Jungen vor zehn Monaten bin ich jedoch gefangen in einem Strudel aus Gefühlen. Ich will einerseits alles richtig machen, meinem Sohn eine gute Mutter sein, ihm den bestmöglichen Start in dieses Leben bereiten und tue alles für ihn. Auf der anderen Seite bedeutet dies für mich als hochsensible Mutter, Verzicht, Verzicht, Verzicht und volle Aufopferung für ein anderes Lebewesen und ich habe viel zu spät erkannt, dass ich dabei mich selbst verloren und mich in den ganzen ersten Monaten seit seiner Geburt zu wenig um mich selbst gekümmert habe. Denn: Ich kann nur dann eine gute Mutter sein, wenn ich auch mir selbst die so notwendigen Regenerationsphasen einräume, um neue Energie zu tanken und auch Zeit für mich zu haben, ohne Geschrei und ohne Anforderungen, die an mich gestellt werden. Ich habe in der Zeit seit seiner Geburt viel über mich gelernt und bin dabei wirklich an meine Grenzen gegangen. Ich musste aber leider auch feststellen, das ich durch meinen Partner, mit dem ich nun seit elf Jahren zusammen bin, und der mich eigentlich kennen müsste, keine große Unterstützung erfahre, die ich jedoch für meine eigene Regeneration so dringend benötigen würde. Ich habe meine Bedürfnisse nach Harmonie, Routine und Ordnung all die Jahre in unserem Zweier-Alltag gut für mich allein unter Kontrolle bekommen. Doch nun, wo ein Kind da ist, benötige ich seine Unterstützung, die ich aber nicht erhalte. Diese Erkenntnis ist wirklich schmerzhaft und ich habe wieder einmal feststellen müssen, wie schwierig es ist, jemandem, der nicht hochsensibel ist, zu erklären oder zu verdeutlich, wie wichtig die kleinen Auszeiten für jemanden sind, der so empfindet. Beim Anderen kommt es oft so an, als würde man sich vor Verantwortung oder Arbeit drücken. Ich bin sehr froh, dass ich deinen Blog gefunden habe und werde hier auf jedenfalls häufiger vorbeischauen. Ich bin wie ich bin und das wie du in einem deiner Artikel geschrieben hast. Wir erleben diese Welt häufig viel intensiver, als nicht Hochsensible und das macht wirklich vieles wieder wett. Ich sehe meine Hochsensibilität mittlerweile als Stärke und bin sehr froh, dass ich das schon vor einiger Zeit erkannt habe, auch schon vor der Geburt meines Sohnes. Es ist trotzdem schwer, wenn man im eigenen Partner oder auch im familiären Umfeld immer wieder erklären muss, warum man so ist, wie man ist, so, als hätte man sich dieses Verhalten oder Empfinden bewusst ausgesucht.
Ich wünsche dir viele Leserinnen, denen du auf diesem Weg helfen und ein Sprachrohr für sie sein kannst.
Alles Liebe aus dem Rhein-Main-Gebiet,
July
Christine sagt:
Liebe July,
ich danke dir sehr, dass du uns so offen von deinen eigenen Erfahrungen mit deiner Hochsensibilität berichtest!
Ich stelle es mir wirklich sehr schwierig und nervenzehrend vor, den Partner immer wieder für die eigene Wahrnehmung sensibilisieren zu müssen und zu wenig Unterstützung oder Verständnis zu bekommen. Aber ich freue mich auch zu lesen, dass dich immerhin deine Schwester sehr gut versteht und du deinen empfindsamen Wesenszug inzwischen als Stärke betrachten kannst. Das ist schon viel Wert :)
Lieben Dank, auch für deine netten Worte zu meinem Blog!
Christine
Nadja sagt:
Liebe Christine,
Dieser Blog öffnet meinen Horizont gerade immens. Schon von Geburt meiner 2. Tochter an, wurde ich immer wieder mit dem Thema Hochsensibilität konfrontiert. Jedoch dachte ich immer nur, mein Kind wäre hochsensibel oder im autistischen Spektrum. Und fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Warum fanden mich sowohl Mitschüler als auch Lehrer seltsam. Warum wurde ich jedes Jahr an Fasching krank, von Kindergarten an. Warum konnte ich meine erste Tochter nicht „annehmen“. Warum habe ich sie im Alter von 5 Jahren ziehen lassen und kam sogar noch gut klar damit. 12 Jahre später nun kam Tochter 2. Kaum 12h alt, fixierte sie mich und lachte, der Schwester fiel die Nierenschale aus der Hand. Sowas hätte sie noch nie gesehen. Da war mir klar, dieses Kind ist und wird spannend. Es hat mir die Reise zu mir selbst ermöglicht. Sehr viel Hilfe bekam ich von Dieter Graf-neureiter. Jedoch Erklärungen für die Warums bekam ich hier. Warum langweilt und ermüdet mich das Spielen mit meinem Kind. Ich schmunzele gerade innerlich. Das tut so gut, zu wissen, dass das absolut natürlich ist, ja beinahe logisch, und nichts von Rabenmutter hat. Chapeau.
Sehr sehr interessant finde ich auch den Artikel über den Zusammenhang von Asperger und Hochsensibilität, bzw über das Zusammenspiel der beiden.
Dumm ist nur, dass meine erste Tochter bereits 19 ist und wie erwähnt schon lange weg ist, meine zweite Tochter mit fast 7 ebenso wie ich auf jeden Fall Hochsensibel ist und sich nicht fremdbetreuen lässt, mein Mann guter Wahrscheinlichkeit nach Asperger ist. Manchmal komme ich mir vor, wie im falschen Film. Es kommt zwar dem Kontrollbedürfnis meines hochsensiblen Naturells nach, alles alleine managen zu müssen, aber das war dann auch schon der einzige Vorteil. Trocken grins
Sehr spannend was ich damit anfangen werde. Zumindest Mal uns alle besser verstehen.
Ich danke dir ganz herzlich und wünsche dir weiter alles Gute und Liebe bei der Reise zu dir selbst und somit ins Leben.
Nadja