Lebensfragen

Für Familie und Besitz: Mehr Herz und Seele statt Distanz

Entrümpeln ist eines meiner Hobbys. Mich von unliebsamen Dingen zu trennen fällt mir nicht schwer. Nicht nur, dass Minimalismus und Zero Waste gerade voll im Trend sind und man daher in unzähligen Ratgebern und Lifestyle-Kolumnen mit dem bewussten Lebensstil der Nachhaltigkeit konfrontiert wird – was ich sehr schätze und gerne unterstütze, beispielsweise indem ich auf den gutriechenden Nagellackentferner verzichte, den es nur in einer Plastikflasche gibt und stattdessen die okay-duftende Variante im Glasfläschchen in den Einkaufskorb lege. Letztens bin ich sogar mit der kaputten Sandale meines Sohnes zum Schuster gegangen, statt wie früher üblich, direkt den Deckel der grauen Tonne zu öffnen und die Treter zu entsorgen. Die Reparatur kostete mich lediglich vier Euro, was nicht nur die Umwelt, sondern auch meinen Geldbeutel freute.

Aber dies soll kein Beitrag zu ökologisch-hinterlassenen Fußabdrücken auf unserem Planeten werden, auch, wenn ich mich gerne dafür stark mache, an die Umwelt zu denken und meine Strandbesuche nicht mehr ohne Mülltüte in der Jackentasche tätige, für all das achtlos Weggeworfene und Angeschwemmte, das im Sand herumliegt und uns allen über kurz oder lang schadet.

Also, wir waren beim Entrümpeln. Denn genau hier liegt auch mein Schwachpunkt. Ich werfe zu gern weg. Was nicht bedeutet, dass bei uns zuhause kaum Möbel stehen, wir lediglich auf einer Matratze auf dem Boden schlafen und bei mir nur zwölf Kleidungsstücke im Schrank hängen (obwohl ich dort tatsächlich letztens auf ein Minimum reduziert habe). Mein Problem an der ganzen Sache ist eher, dass ich kaum Bezug zu meinen Dingen habe und infolgedessen zu oft verschenke oder entsorge. Der Trennungsschmerz, wenn ich etwas abgebe, fällt eher mau aus oder in der Regel einfach ganz weg.

Für Familie und Besitz: Mehr Herz und Seele statt DistanzAls ich letztens meinen hübschen Audi verkaufte, weil sich ein Diesel für mich nicht mehr rentiert, war der Abschiedsschmerz denkbar kurz. Im Nachhinein fiel mir auf, dass ich nicht mal einen letzten Blick zurückgeworfen hatte. Und das, obwohl es über Jahre mein Traummodell von einem Auto gewesen war und optisch immer noch ist. Nun fahre ich ein umweltfreundlicheres Auto, das nicht mehr so schnittig ist, aber eben seinen Zweck erfüllt.

In meiner Philosophie haben materielle Werte nicht so einen starken Wert. Ich denke mir immer: Wenn es mal brennt, willst du keinem Stück hinterhertrauern, als könntest du ohne es nicht leben. Und wenn ich irgendwann sterbe, kann ich auch nicht den schönen Schmuck oder die aparte Vitrine ins Jenseits mitnehmen. Also baue ich selbst zu meinen Lieblingsstücken von Anfang an erst gar keine große Beziehung auf.

Jetzt könntest du sagen: „Ist doch toll! Gegenstände werden sowieso überbewertet!“ Das Problem an der Sache ist nur, dass ich es in Beziehungen ähnlich halte, vor allem in der zu meinen Kindern. Da läuft vieles allzu pragmatisch ab.

Frei nach dem Motto „Nicht gemeckert ist auch gelobt“ muss ich mich immer wieder daran erinnern, wie gut es meinen Söhnen tut, das gut gemachte auch offenkundig zu würdigen. Auch für Spontaneitäten bleibt kaum Luft, wir leben von Termin zu Termin, von Programmpunkt zu Programmpunkt. Mir gibt es ein Gefühl von Sicherheit, Leerlauf nicht zuzulassen, aber sicherlich schränkt es meine Kinder auch in ihrer Kreativität oder dem Ertragen von Langeweile ein. Ebenso trage ich zu selten zur Selbstständigkeit meiner Söhne bei, indem ich lieber schnell selbst den Obstsalat zubereite, als gefühlte Ewigkeiten das Gematsche am Tisch zu beobachten und anschließend übergroße Apfelschnitze essen zu müssen.

Für Familie und Einrichtung: Mehr Herz und Seele statt DistanzGenauso fällt es mir nach wie vor schwer, Nähe zu meinen Kindern auszuhalten. Nicht, weil ich Körperkontakt nicht mag, sondern weil ich es schwer aushalte, wenn Mini und Maxi dabei nicht stillhalten können. Das Gewusel und Gehampel macht mich auch nach sieben Jahren noch dermaßen nervös und unruhig, dass ich die Kuschelzeit eigentlich nur auf die Vorlesezeit beschränken kann, in der vor lauter Aufmerksamkeit auf die Geschichte nicht mit den Füßen gewippt oder auf der Couch herumgeturnt wird.

Sicherlich hat es nicht nur damit zu tun, dass ich mich nicht für die geborene Mutter halte, so dass Fürsorge und Mütterlichkeit eben nicht permanent aus mir heraustreten, damit ich meine Umgebung damit überschütten kann. Es bedarf für mich oft genug der Umschaltung eines inneren Hebels, Liebe und Zuneigung fließen zu lassen sowie den Raum für „Unnützes, das einfach nur schön ist“ zu öffnen oder einen unansehnlichen Obstsalat zu genießen, der dafür von glücklichen Kindern zubereitet wurde.

Den Ursprung vermute ich in der Hinsicht ganz stark in meiner eigenen Kindheit, in der es auch meinen eigenen Eltern oft genug schwerfiel, ihre Liebe an mich weiterzugeben. Die Beziehung zu meinem Vater ist auch heute noch geprägt von einer emotionalen Distanziertheit, die mich wiederum an meine Distanz zu den Gegenständen in meiner Wohnung erinnert. Der Zugang zu meinen eigenen liebevollen Seiten wurde also schon vor langer Zeit ein Stück weit verbaut und es bedarf heute als erwachsene Frau meinerseits immer wieder eines aufmerksamen Blicks, die inneren Blockaden wegzuräumen. Und schon wird wieder etwas entrümpelt, um im Bild zu bleiben.

Für Familie und Einrichtung: Mehr Herz und Seele statt DistanzManchmal könnte also ein bisschen mehr Herz und Seele meinen vier Wänden und ihren Bewohnern guttun, denn ich möchte nicht, dass meine Kinder ähnlich reserviert und gezügelt aufwachsen wie ich. Ich habe demnach entschlossen, es mit dem emsigen Aussortieren erst einmal sein zu lassen. Was nicht bedeutet, dass ich ab jetzt alles kaufe, was mir gefällt und zum Messie werde. Immerhin mag ich es als Hochsensible gerne klar und aufgeräumt. Aber ich möchte nicht bei jedem potentiellen neuen Teil bereits im Laden oder auf dem Flohmarkt an einen etwaigen Brand oder an die entrümpelnden Familienmitglieder nach meinem Tod denken, die nicht wissen, wohin sie mit der aparten Vitrine sollen. Also greife ich zukünftig bei Herzensdingen wieder zu (sofern es mit meinem Umweltgedanken vereinbar ist).

Und genauso will ich es auch mit meinen Kindern oder meinen Bekanntschaften halten. Nicht immer mit dem Fuß auf der Herzens-Bremse durch den Alltag fahren. Der Freundin einfach so einen kleinen Blumenstrauß zum nächsten Treffen mitbringen ohne etwas im Gegenzug zu erwarten und den Kindern mit Ketchup ein Herz neben ihre Fischstäbchen malen oder sie zwischendurch spontan mal drücken. Nicht, dass ich all das noch nie gemacht hätte, aber sicherlich noch nicht oft genug. Die Mutter in mir darf unbedingt noch weiter gestärkt werden und das gelingt hoffentlich auch über diesen Weg.

Meistens sind es ja die kleinen Dinge, die in der Gesamtheit alle Beteiligten glücklich machen. Das gilt auf der dekorierten Fensterbank genauso wie in zwischenmenschlichen Beziehungen. Und dann fühlt es sich bei mir zuhause hoffentlich bald noch ein bisschen wärmer und wohliger an. Für mich und auch für die anderen. Ganz wie es in dem Slogan des schwedischen Möbelhauses heißt: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“

6 Gedanken zu „Für Familie und Besitz: Mehr Herz und Seele statt Distanz“

  1. Lili sagt:

    Liebe Christine,

    ich bin auch so eine Minimalistin und kann mich total leicht von Dingen trennen. Ich mag es auch, nur von dem Nötigsten umgeben zu sein, aber so, dass es immer noch wohnlich und gemütlich aussieht.

    Ich kann vieles, was du schreibst, total nachvollziehen und will gerne noch einen weiteren Aspekt einbringen. Ich glaube, dass dir die Beziehung zu dir selbst wichtig ist und oftmals auch „reicht“, was ich persönlich total nachvollziehen kann. Es ist nur in unserer Gesellschaft so üblich, dass die Beziehungen zu anderen irgendwie höher gewichtet werden.

    Aber ich finde, die Beziehung zu sich selbst am wichtigsten, weil sie der Ursprung zu allem anderen ist. Wenn diese Beziehung zu oft gestört und verletzt wird, dann sind wir allem anderen gegenüber geschwächt.

    Zu viele Dinge im Außen können da genauso störend sein, wie zu viel eingeforderte Nähe.

    Ich denke, dass bei feinfühligen Menschen der Leidensdruck stärker ist, wenn sie sich von sich selbst abgeschnitten fühlen. Während es für andere einfacher ist, sich vorwiegend dem Leben im Außen zu widmen.

    Liebe Grüße
    Lili

    1. Christine sagt:

      Liebe Lili,

      vielen Dank mal wieder für deine netten Worte und deine zusätzlich eingebrachten Aspekte.
      Tatsächlich finde ich die Beziehung zu sich selbst auch erst einmal am wichtigsten, weil sie die Grundlage ist, mitfühlend und verständnisvoll auf andere zuzugehen. Gerade wir (Hoch-)Sensiblen müssen erst einmal uns und unsere Grenzen kennen, um nicht ständig nur nach den Bedürfnissen anderer zu leben.

      Trotzdem bin auch ich ein Mensch, der gerne in Beziehung zu anderen Menschen steht (wenn auch sicher nicht so oft wie andere, ich brauche keinen riesigen Freundeskreis) und da fehlt mir einfach manchmal der herzlich-verbindliche Zugang.

      Liebe Grüße zurück
      Christine

  2. Karo sagt:

    Unglaublich, deine Blogbeiträge spiegeln ganz oft, was ich denke, wie ich mich fühle, was ich tue… Schön, dass es diesen Blog (und dich) gibt.

    1. Christine sagt:

      Jetzt hast du es aber geschafft, dass ich rot geworden bin :)
      Es freut mich, dass dir mein Blog so oft ein Spiegel deiner eigenen Gefühle ist und du gerne mitliest!

  3. Valeska sagt:

    Liebe Christine,
    als ich gerade Deinen Beitrag gelesen habe, dachte ich, Du sprichst von mir. Ich denke und fühle genauso wie Du, die Nähe zu meinen Kindern erdrückt mich auch ganz oft, das „Rumgezappel und Gehampel“ ist für mich ein großes Problem. Pragmatisch, genau so würde ich mich auch bezeichnen. Ich finde Deinen Blog toll, habe ihn erst kürzlich entdeckt, und lese seit ein paar Tagen deine Beiträge. Danke, mach weiter so.

    1. Christine sagt:

      Liebe Valeska,

      auch ich freue mich, dass du meinen Blog gefunden hast, wenn er dir guttut und du dich verstanden fühlst!
      Dann wünsche ich dir viele bereichernde Momente beim Lesen und die Gewissheit, dass du nicht alleine bist.

      ♥-lichst
      Christine

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