Eigentlich klicke ich bei so was direkt auf den „Löschen“-Button. Emails, auf Englisch verfasst und mit ausländischem Absender wollen mir nämlich entweder blaue Pillen verkaufen oder sie verkünden mir eine millionenschwere Erbschaft in Bangladesh. Doch irgendetwas ließ mich noch einmal einen zweiten Blick auf den Inhalt der Mail werfen, die da den Weg in meinen virtuellen Blog-Briefkasten gefunden hatte. Vielleicht war es die Betreffzeile „Your text for a french journal“ (zu gut deutsch: Dein Text für eine französische Zeitschrift), die mich neugierig werden ließ.
Und tatsächlich: Der Absender war kein unbekannter Freund aus Asien, sondern eine französische Journalistin, die für ein erfolgreiches, französisches Magazin schreibt. Sie wäre über meinen Bericht „Wenn Mamasein die Luft zum Atmen nimmt“ gestolpert und würde gerne Auszüge daraus für einen Online-Bericht über die Debatte zum Thema „Regretting Motherhood“ und wie deutsche Frauen darüber denken, zitieren.
Ein kurzer Check über Google, wie seriös dieses Magazin namens Rue89 denn wäre („Die haben einen eigenen Eintrag bei Wikipedia, das will schon was heißen, Schatz!“ so die letztendlich überzeugende Meinung meines Mannes), sagte ich Renée, der Journalistin, noch am selben Tag zu. Ob ich ihr denn auch noch „mal eben“ zwei, drei Fragen beantworten könne.
Aber, wie das Leben als Mutter von zwei kleinen Kindern nun mal so spielt: Statt mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen Mütter wie ich gefühlt ja öfter mit selbigen zwischen Kindergartentürchen und Windelregalen im Drogeriemarkt. So war es denn auch kein Wunder, dass Renées Artikel schneller verfasst war, als ich Zeit zum Beantworten ihrer Fragen hatte. „Ich hab zu spät reagiert“ war mein erster Gedanke, als ich den Link zum fertigen Artikel in meinem Postfach fand. „Quatsch!“ mein Zweiter. Immerhin habe ich hier im Mama-Blog die Möglichkeit, dir das kleine Kurzinterview noch im Nachhinein zu präsentieren. Und du brauchst dafür nicht mal dein verstaubtes Schulfranzösisch hervorzukramen! Wenn das mal nichts ist!
Et voilà, hier sind sie also, die zwei, drei Fragen von Renée, Journalistin des französischen Magazins Rue89, für die ich mich noch einmal ganz herzlich bedanken möchte:
Kannst du mir erklären, was in Deutschland mit dieser „Regretting-Motherhood“-Debatte passiert ist? Warum ist sie so kontrovers?
Ehrlich gesagt, frage ich mich das auch manchmal. Immerhin scheint sich die deutsche Mutterschaft bei dem Thema in zwei Lager zu teilen: Die Einen bekannten sich nach der israelischen Studie von Orna Donath öffentlich dazu, auch (oder zumindest zeitweise) die Mutterrolle zu bereuen und die Anderen stellten klar, dass sie absolut nicht zu dieser Fraktion gehören. Wobei mir aufgefallen ist, dass Letztere in den meisten (nicht in allen) Fällen vehement betonten, wie sehr sie ihre Kinder lieben, ergo ihre Mutterrolle ja nicht bereuen könnten. Viele haben meiner Meinung nicht verstanden, dass es bei „Regretting Motherhood“ nicht darum geht, seine Kinder zu bereuen, sondern „lediglich“ die Rolle, in die uns unsere Gesellschaft vierundzwanzig Stunden am Tag steckt.
Denn genau das war und ist auch der Grund, warum ich so oft mit meinem Muttersein hadere: Als Mama bist du eben sehr fremdbestimmt, eingeschränkt und hierzulande leider auch oft genug auf dich allein gestellt. Es wird unterschwellig immer noch von der Mutter verlangt, dass sie diejenige ist, die sich hauptsächlich um die Kinder kümmert (der Mann darf ohne schlechtes Gewissen in die Arbeit oder gleich ganz aus der Familie flüchten, wenn er sich seiner Vaterrolle nicht gewachsen fühlt). Als Mutter hast du es in Deutschland so oder so schwer: Entweder du bleibst zuhause beim Kind, dann wirst du als Glucke oder Hausmütterchen abgestempelt, oder du gehst arbeiten, dann bist du die Rabenmutter.
Ich wünsche mir immer noch ein staatliches bzw. gesellschaftliches Umdenken, das es der Mutter erlaubt, sich in dieser Hinsicht frei zu entscheiden, ohne finanziell schlecht dastehen oder sich vor anderen Menschen (grotesker Weise ja meist Müttern!) rechtfertigen zu müssen. „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ So lautet ein afrikanisches Sprichwort. Ich persönlich bin der Meinung, dass viel weniger Mütter ihre Mutterrolle bereuen würden, bzw. müssten, wenn diese Volksweisheit auch in unseren Breitengraden präsenter wäre und die Frau nicht die (größtenteils alleinige) Verantwortung für ihren Nachwuchs trüge. Nur weil eine Frau Mutter wird, will sie ja in den meisten Fällen ihre Rolle als „einfach nur Frau sein“ nicht ablegen müssen, sondern zusätzlich auch noch ausleben dürfen.
Sprechen die Deutschen viel über dieses Problem? Was ist mit dir? Hast du mit deinen Freunden oder deiner Familie darüber geredet?
Ich persönlich glaube, dass deutsche Mütter sich schwer damit tun, über solch ein Tabuthema zu reden. Genauso, wie immer noch zu wenig öffentlich über postpartale Depressionen (oder andere psychische Erkrankungen) gesprochen wird. Als Mutter hast du dein Mamadasein mit jeder deiner Faser zu genießen! Wer das nicht tut (oder kann), fällt aus der Norm. Und wer will schon unnormal sein?
Die Studie über „Regretting Motherhood“ hat sicherlich einen Weg geebnet, in Internetblogs und Social Media vermehrt über unangesehene Gefühle zu reden und vielleicht die ein oder andere frustrierte Mama ermutigt, sich dazu zu bekennen, selbst die Mutterrolle zu bereuen. Ansonsten bin ich persönlich über mehr Mütter im Internet gestoßen, die sich von „Regretting Motherhood“ distanzierten und im Umkehrschluss betonten, mit ihrem Mamadasein rundum glücklich zu sein.
Eine Leserin meines Blogs hat es in einem Kommentar ziemlich auf den Punkt gebracht. Ich zitiere sie an dieser Stelle gerne:
„Seltsam fand ich nur, dass die Leute so auf die Gegenbewegung aufspringen. Als würde es ihnen etwas wegnehmen, wenn andere anderer Meinung sind.“
Das empfinde ich genauso. Damit will ich nicht sagen, dass ich mich nicht für diese Mütter freue – im Gegenteil, ich tue es! Aber diese „Gegenreaktion“ zeigt mir auch wieder, dass immer noch viel Bewertung, ja vielleicht sogar Abwertung in den Köpfen vorherrscht. Nach dem Motto: „Seht her, ich zähle aber zu den Normalen dieser Gesellschaft!“ Ich würde mir sehr wünschen, dass die Mütter, die sich mit ihrer Mutterrolle nicht anfreunden können, nicht als unnormal abgestempelt oder sogar verachtet werden. Wobei ich persönlich sagen muss, dass ich bisher in keinster Weise angefeindet wurde – weder virtuell, noch in meinem realen Umfeld.
Und um damit die Kurve zum zweiten Teil der Frage zu kriegen: Ich persönlich spreche darüber! Auch, wenn ich hauptsächlich meinen Mama-Blog als Plattform nutze, in dem ich ja weitestgehend anonym schreibe. Interessanterweise habe ich gut zwei Wochen, bevor die Debatte rund um „Regretting Motherhood“ durch die Medien ging, zum ersten Mal vor einem guten Freund laut ausgesprochen, dass ich meine Mutterschaft, wenn es möglich wäre, wieder rückgängig machen würde. Den Begriff „Regretting Motherhood“ kannte ich da noch gar nicht. Erst, als ich kurze Zeit später über Facebook und Twitter davon erfuhr, dachte ich spontan: „Ach wie passend. Es gibt ein Begriff für meinen Zustand!“
Ansonsten weiß mein engster Familienkreis davon, dass ich sehr oft mit meinem Mamasein hadere. Hausieren gehen würde ich damit aber nicht. Da schütze ich mich vielleicht selbst vor vermeintlichen Angriffen der Gesellschaft, wenn man es so sagen will.
In deinem Text drückst du ein paar sehr tabuisierte Gefühle aus. Wie fühlte sich das beim Schreiben für dich an?
Um ehrlich zu sein, fällt mir das heute gar nicht mehr schwer, über unangenehme Gefühle zu schreiben. Vielleicht, weil ich schon viele Blogbeiträge verfasst habe, die sich mit „negativen“ Muttergefühlen beschäftigen. Mein Mama-Blog ist mein Ventil, Frust, Ärger und Aussichtslosigkeiten loszuwerden. Immer in der Hoffnung, dass es irgendeiner Mama da Draußen vielleicht ähnlich geht und die froh ist, zu lesen, dass es noch andere Mütter mit diesen Gedanken und Gefühlen gibt. Und es gibt sie, diese Mamas, die mich immer wieder anschreiben und mir sagen, wie froh sie sind, ihre Gefühle bei mir niedergetippt zu lesen. Sie sind für mich der Beweis, dass es sich lohnt, darüber zu sprechen und zu schreiben. Unsere Gesellschaft muss endlich akzeptieren, dass das Leben nicht immer nur Friede, Freude und Eierkuchen bereithält. Und schon gar nicht das Leben einer Mutter.
Weder in Deutschland, noch sonst wo auf der Welt.
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