Lebensfragen

Hauptsache es ist gesund?


Diesen Satz bekam ich in meinen zwei Schwangerschaften des Öfteren zu hören. Auf die interessierte Nachfrage, welches Geschlecht ich denn austrage, folgte unmittelbar „Ach egal, Hauptsache, es ist gesund.“ Von meinem Vater. Von meinen Großeltern. Von nett lächelnden Nachbarn. Und Überhaupt.

Anfangs stimmte ich ihnen mit einem „Ja richtig“ zu, mehr als Floskel, denn wirklich über den Sinn nachgedacht, dahergesagt. Doch es brachte mich zum Grübeln. Warum sagt man das? Hauptsache gesund. Was wäre denn, wenn mein Sohn behindert auf die Welt gekommen wäre? Für wen genau wäre das jetzt so schlimm? Für mein Kind? Für mich? Für die Menschen um mich herum?

Die moderne Medizin macht immer mehr möglich. Das ist in erster Linie positiv, wir profitieren gerne davon. Egal ob es um Betäubungsmittel beim Zähneziehen geht oder um Forschungen zum Thema Krebsvorsorge. Da möchte glaube ich Niemand mehr im Mittelalter leben. Die Frage ist für mich nur, wo ist die Grenze beim Forschen? Allein bei der Frage nach Erbbiologie und der Genforschung kommt auch unweigerlich die Ethik ins Spiel. Mein Mann und ich haben bewusst auf Pränataldiagnostik (PND) wie Ersttrimesterscreening oder Chorionzottenbiopsie verzichtet, weil wir uns gesagt haben „Wir nehmen an, was das Leben uns schenkt. Und zwar mit allen Bedingungen.“

Ist einem Elternpaar wirklich geholfen, wenn es schon früh erfährt, dass ihr Kind eventuell behindert zur Welt kommt? Ist es eine Frage der Planung und dass man sich selbst auf die schwere Situation einstellen muss? Oder bringt es den Ein oder Anderen vielleicht eher dazu, sich mit einer Abtreibung anzufreunden, weil das Baby nicht den Wunschvorstellungen entspricht? Wie leichtfertig werden wir in Zukunft mit neuem Leben umgehen, wenn wir bereits in den ersten Wochen erfahren, dass der Wunschsohn eine Tochter wird?

Dass Eltern ihren Kindern nur das Beste (und das ist in erster Linie ja Gesundheit) wünschen, wenn sie auf die Welt kommen, ist wohl verständlich. Auch ich bin froh, dass Mini und Maxi weder das Down-Syndrom, noch eine unheilbare Erbkrankheit haben. Aber ist eine Behinderung wirklich der „Worst Case“, der schlimmste Fall der eintreffen kann, der einem Menschen das Leben nicht lebenswert macht? Ich möchte nicht bestreiten, dass Eltern eines kranken oder behinderten Kindes besonders oft an ihre Grenzen stoßen, wenn sie nächtelang vor Sorge um ihre Kleinen nicht schlafen können oder auch den 5. Geburtstag in Folge im Krankenhaus feiern müssen.

Es muss eine wahnsinnige Kraft bedeuten, seinem Kind vielleicht nicht die Kindheit ermöglichen zu können, die sie ihm gewünscht hätten. Verständnislose, manchmal angewiderte Blicke in der Stadt zu ernten. Die Erfahrung machen zu müssen, dass behinderte Menschen in der Gesellschaft immer noch nicht so gleichgestellt oder anerkannt werden, wie man es sich vielleicht wünscht, denkt man nur an die Paralympischen Spiele, die im TV nicht die gleiche Aufmerksamkeit genießen dürfen wie ihr sportliches Pendant für Gesunde.

Ich möchte mit diesem Mama Blog-Eintrag den Mamas mit behinderten und kranken Kindern unter uns meine absolute Hochachtung aussprechen. Wenn ich auch nur ein behindertes Kind hätte, ich weiß nicht, ob ich allein schon dem emotionalen Druck würde standhalten können (jetzt, wo ich weiß, wie anstrengend schon gesunde Kinder sein können).

Ich bewundere die Eltern, die sich für das Leben ihres Kindes entscheiden, obwohl sie wissen, dass es geistig oder körperlich behindert zur Welt kommen wird. Ich bewundere die Liebe, Fürsorge und Hingabe, die diese Eltern aufbringen, um ihrem Baby stolz das Leben zu zeigen.

Ich glaube nicht an Zufall. Ich glaube, wenn Eltern ein behindertes Kind bekommen, dann, weil das Leben ihnen diese Aufgabe auch zutraut. Und uns Allen zeigen will, dass das Leben trotzdem lebenswert ist. Kein Mensch ist schließlich perfekt – auch nicht der Gesunde. Eine Garantie für Glück ist Gesundheit jedenfalls nicht. Unumstritten ist jedoch, mit welch einer Lebensfreude die Betroffenen oft selbst durchs Leben gehen. Da können wir „Nicht-Behinderten“ uns oftmals noch eine Scheibe von abschneiden.

Wie wär’s denn mit einem generalisiertem „Hauptsache es ist da“ statt „Hauptsache es ist gesund“?

Titelbild mit freundlicher Unterstützung von © Tuva Mathilde Loland

6 Gedanken zu „Hauptsache es ist gesund?“

  1. kullerkind sagt:

    Sehr interessante Gedankengänge… ich glaube, hier muss es einfach jeder machen wie er es für richtig hält. Wir hatten uns ganz bewusst für alle pränatalen Voruntersuchungen entschieden. Nicht etwa, weil wir mal wieder Baby-TV haben wollten… sondern viel mehr, weil wir nicht unvorbereitet sein wollten. Denn ich möchte nicht erst zur Geburt erfahren, dass mein Murkel etwas hat. Ich hätte mich gerne körperlich und emotional darauf vorbereitet – mit allen Konsequenzen. Gott sei dank war dann alles in Ordnung, bei jeder Untersuchung. Ich bin ein extreeeem ängstlicher Mensch… ich hätte immer Angst gehabt, „dass da was ist“, wenn ich diese Untersuchungen nicht gehabt hätte.

  2. Kaiserin sagt:

    Vielen Dank für den tollen Text. <3

  3. Daniela sagt:

    Wir haben uns damals auch gegen PND entschieden.
    Ich bin Heilerziehungspflegerin und weiß auch daher, dass die wenigsten Behinderungen vor der Geburt entstehen.
    Außerdem heißt eine Erkrankung oder eine Behinderung nicht, dass das Leben des Kindes nicht trotzdem lebenswert ist und das Kind nicht trotzdem liebenswert ist.

    1. Christine sagt:

      Liebe Daniela,
      so wahr, so wahr! Es gibt so viele Menschen, die trotz(?) Behinderung ein glückliches Leben führen. Ich kann es absolut nachvollziehen, dass ihr euch gegen PND entschieden habt, auch wenn ich Niemanden verurteile, der es tut.
      Liebe Grüße
      Christine

  4. Christine sagt:

    ‚Hauptsache gesund‘ – verdammt, wie ich diesen Satz hasse. Warum? Weil ich es nicht bin. Weil es das Schicksal eben zu meiner Geburt nicht gut mit mir gemeint hat. Weil die Ärzte nicht aufgepasst, ja einen FEHLER gemacht haben. Behindert. Zack. Eben halt nicht gesund.
    Die wenigsten kennen meine Geschichte. Die wenigsten wissen von den zahlreichen Operationen, von den schmerzhaften Krankengymnastikstunden, von den Kontrollbesuchen.
    Von den psychischen Folgen, die mich beinahe umgebracht hätten.
    Jetzt kommt aber ein großes ABER:

    Das Ganze hat mir vieles gezeigt: Es geht weiter, immer! Es gibt Sch… Tage, die müssen sein.
    Meine Behinderung lässt mich ein fast normales Leben führen. Eben halt nur fast. Manches geht nicht. Und das musste ich erst lernen. Ich musste dadurch auch lernen, um Hilfe zu bitten, sichtbare Unperfektheit auszuhalten und mich trotzdem als attraktiven, liebenswerten und vollwertigen Menschen zu akzeptieren.
    Ich muss mich meinen Körper auseinander setzen, ob ich will oder nicht. Ich brauche mehr Pausen, sonst bekomme ich die Quittung.

    Ich hätte es mir anders gewünscht, klar. Aber es ist nunmal so, wie es ist. Und das ist gut so. Mal ein kleines Zitat meiner Mutter: Du gab Probleme. Aber nicht mehr. Nur andere.
    Und, ja, ich bin glücklich. :-)

    Grüße

    Die andere Christine :-)

    1. Christine sagt:

      Liebe andere Christine :)

      Dass du auf meinem Mama-Blog so offen über deine Behinderung sprechen kannst, lässt mich ganz verlegen werden: Danke für dieses Vertrauen!
      Deine Lebensgeschichte klingt wirklich sehr steinig – ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass man dann irgendwann am Abgrund steht und sich fragt, ob und wie es weitergehen soll. Umso bemerkenswerter dein (Über-)Lebenswille und deine Art, mit der Unperfektheit umzugehen!

      Ich persönlich glaube inzwischen, dass jeder Mensch perfekt ist – mit allem Unperfekten, allen Schwächen, die ihn ausmachen. Leider gilt es in unserer Gesellschaft immer noch, diese scheinbaren Unzulänglichkeiten (sei es körperlicher oder seelischer Natur) ausgrenzen bzw. verdrängen zu müssen. An sich selbst oder an Anderen. Das ist so schade. Ich wünsche uns allen, dass wir die reine Schönheit eines jeden Menschen wahrnehmen und irgendwann auch bei uns selbst ankommen können, um uns und Andere einfach so anzunehmen, wie wir/sie sind. Du hast es geschafft!

      Über deinen letzten Satz habe ich mich am Meisten gefreut :)

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