Mama-Momente

Wo ist denn hier der Notausgang? Mama täglich auf der Flucht.


Ich muss zugeben, die Frage nach dem nächsten Notausgang geht mir seit über vier Jahren beinahe täglich durch den Kopf. Und nicht selten auch mehrmals am Tag. Nicht immer als vollständiger Satz; manchmal habe ich die vier Wände bereits verlassen, bevor ich merke, dass ich auf der Flucht war. Oder ich bekomme Herzklopfen und atme schneller. Stressreaktion nennt man das wohl. Und genau dieser Impuls, nämlich immer auf der Suche nach dem nächsten Notausgang zu sein, begleitet mich nun schon so lange wie ich Mutter bin.

Obwohl ich mir ehrlich gesagt erhofft hatte, dass dieses Stressgefühl nach mehr als vier Jahren endlich mal einer entspannten Routine weichen würde. Immerhin ist das alles ja jedes Mal nichts Neues! Pustekuchen! Das Einzige, was ich mir besser zu meinem eigenen Wohl eingestehen sollte, ist, dass ich mich langsam an den Gedanken gewöhnen muss, dass ich als hochsensible Mutter einfach in manchen Situationen schneller gestresst reagiere, als diejenigen Mamas, die nicht immer alles ungefiltert an sich heranlassen. Jetzt fragst du dich vielleicht, was das denn für außergewöhnliche Begebenheiten sind, in denen ich regelmäßig die Krise kriege und die Flucht antreten will.

Das sind vor allem Geburtstage. Feste und Feiern mit der lieben Verwandtschaft, welche zu kinderlosen Zeiten Anlass zum entspannten Kaffeetrinken und Kuchenessen waren und jetzt mit einem Drei- und einem Vierjährigen ein Grund sind, permanent unter der Kaffeetafel nach dem Rechten zu sehen. Vor allem, wenn die Feier auf zwölf Quadratmeter eines beengten Wohnzimmers beschränkt ist, gleicht mein Inneres mehr einem wuseligem Ameisenhaufen, denn einem säuberlich geharktem Zen-Garten. Es scheint, als ob allein vier Wände um mich herum schon so bedrohlich wirken wie ein viel zu enger Käfig, zumindest, solange meine Kinder sich auch darin befinden.

Wo ist denn hier der Notausgang? Mama auf der Flucht.
Unlängst erst waren wir anlässlich der Geburtstagsfeier meiner Schwester in einem Café geladen. Eins von diesen netten Bistros, in denen du dich gechillt auf die Eckbank fläzen würdest, wenn du – wie die anderen Gäste- lediglich deinen Partner als Begleitung mitbringen würdest. Mit Mini und Maxi im Gepäck wurde es ein Wettlauf gegen die Zeit. Waffeln herunter schlingen, Kaffeetassen schleunigst leeren, viel zu schnell rutschen die Kleinkinder schließlich gelangweilt auf ihren Stühlen umher und wollen bespaßt werden. Aber selbst eine extra mitgebrachte Tasche voller Spielzeug und Bücher kann die aufkeimende Langeweile nur minutenlang hinauszögern. Danach zappeln wieder Kinderfüße und meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Dann wird aus dem Feierspaß ganz schnell Feierfrust.

Hier hilft nur die Flucht nach Vorne. Beziehungsweise nach Draußen, am Besten in Richtung Spielplatz. Denn nichts entkrampft mehr, als frische Luft. Und ich spreche aus vierjähriger Erfahrung! In den ersten drei Lebensjahren war ich täglich, und ich meine wirklich bei jedem Schietwetter, mit den Kindern in der Natur spazieren und auf sämtlichen Spielplätzen der Umgebung unterwegs. Denn nicht nur Geburtstagsfeiern stressen mich, nein, auch die täglichen gemeinsamen Stunden mit Mini und Maxi nach dem Kindergarten zuhause.

Mein Mann kann nur schwer nachvollziehen, wenn ich morgens schon aufgrund der angekündigten Wetterlage am Nachmittag wie ein eingesperrter Hund herumwinsle. „Dann bleibst du halt die drei Stunden mit den Jungs hier und ihr spielt oder bastelt etwas Schönes!“ Aber ganz so einfach ist es bei mir leider nicht. Selbst, wenn die Kinder gut drauf und auch untereinander friedlich im Umgang miteinander sind.

Wo ist denn hier der Notausgang? Mama auf der Flucht.
Es ist vor allem diese hyperaktive Lebendigkeit, die Kinder aufgrund ihres hohen Energieniveaus versprühen, und die bei mir eine wahnsinnige Unruhe auslösen. Sie sind wie zwei hibbelige Jack-Russel-Terrier, die in einer Tour schwanzwedelnd an dir hochspringen. Ich bin eher der Typ gemütlicher Labrador, der höchstens mal mit dem Ohr zuckt. Leider lasse ich mich viel zu oft von meinen Kindern anstecken und aus der Ruhe bringen, statt selbst Ruhe zu vermitteln. „Mama, was machen wir jetzt? Mama, mir ist langweilig, ich will was anderes machen. Mama, guck mal hier, Mama guck mal da! Was machen wir jetzt?“ Und das alles innerhalb von fünf Minuten. In der Wohnung für mich nur schwer aushaltbar, weswegen ich ständig Bewegung brauche, um der inneren Unruhe etwas entgegenzusetzen.

Ein Geschwisterstreit oder auch nur ein gelangweiltes oder nörgelndes Kind zu viel, und schon springe ich auf, tigere rastlos durch die Wohnung und suche mir eine Beschäftigung, bei der ich bloß nicht still sitzen muss. Bügeln, Spülmaschine ausräumen, Wäsche aufhängen. Meine Wohnung freut’s!

Wo ist denn hier der Notausgang? Mama auf der Flucht.
Früher bin ich deshalb bei jedem Platzregen mit den Kindern durch die Natur gestiefelt und habe lieber nasse Füße riskiert, als die Unruhe zuhause.

Sport und tägliche Meditationssitzungen auf meinem Lieblingssessel helfen mir schon sehr beim Runterkommen und Entstressen. Und trotzdem bin ich über jeden Nachmittag dankbar, an dem die Sonne scheint oder der Babysitter seinen Dienst hat.

Aber in den letzten Monaten hat sich auch bei mir schon ein bisschen was verändert. Ich merke, dass ich bei Regenwetter automatisch lieber mit den Kindern drinnen bleibe, als den Tag auf einem verregneten Spielplatz zu verbringen. Die spontane Absage der kranken Schwiegermutter, die Mini und Maxi nicht wie geplant am Nachmittag nehmen kann, löst bei mir nicht mehr den Katastrophenzustand aus. Und auch meinen persönlichen Super-Gau, ein krankes Kind ganztägig zuhause zu betreuen, habe ich letzte Woche ohne Probleme gemeistert: Maxi hatte Magen-Darm, ansonsten aber überhaupt keine Ambitionen, sich wie ein krankes Kind zu verhalten.

Zwölf Mal hintereinander „Die kleine Raupe Nimmersatt“ vorlesen, Tankstellen aus Lego bauen und nebenbei den Kotzeimer halten, stand also an der Tagesordnung. Und auch, wenn die freiheitsliebende Frau in mir das ein oder andere Mal für zwei Minuten zum Durchatmen alleine in der Küche verschwand, wusste ich tatsächlich nicht, wann ich das letzte Mal acht Stunden am Stück problemlos mit meinem Sohn verbracht hatte. Ein schönes Gefühl.

Wo ist denn hier der Notausgang? Mama auf der Flucht.
Noch weiß ich nicht, wann sich dieser Zustand bei mir, immer auf der Suche nach dem nächsten Notausgang zu sein, völlig auflösen wird. Wahrscheinlich erst, wenn die Kinder so alt sind, dass sie eh lieber alleine mit ihren Freunden in ihrem Zimmer spielen möchten, als bei Mama am Rockzipfel zu hängen. Oder, wenn ich mich nicht mehr von ihrer auslösenden Unruhe anstecken lasse und es schaffe, selbst Ruhe zu vermitteln. Bis dahin scheint es aber noch ein langer Weg zu sein.

Im August sind mein Mann, Maxi, Mini und ich auf der Hochzeit eines befreundeten Pärchens eingeladen. Wir haben lediglich für zwei Personen zugesagt.

6 Gedanken zu „Wo ist denn hier der Notausgang? Mama täglich auf der Flucht.“

  1. Sandra sagt:

    Ich habe jetzt wirklich fast jeden Artikel von dir gelesen und mich fast überall so sehr wiedererkannt. Ich habe zwar nur 1 Kind (2 Jahre), aber ich fühle ganz genau wie du. Jetzt frag ich mich ob ich evtl. auch hochsensibel bin?! Bisher sagt mir das nämlich nichts. Oder ob es hauptsächlich an den so anderes tickenden Muddis hier im Dorf liegt, dass ich mich so oft so als schlechte Mama fühle und noch natürlich nicht mal mit wem drüber reden kann.

    Bin froh dich gefunden zu haben!

    1. Christine sagt:

      Liebe Sandra,

      erst einmal: Wow, Respekt, dass du dir beinahe meinen gesamten Blog durchgelesen hast! Da warst du sicher einige Zeit beschäftigt! :)
      Es irritiert und freut mich jedesmal gleichermaßen, wenn ich von fremden Müttern lese, dass sie sich so sehr in meinen Gedankengängen wiederfinden, so auch bei dir.

      Ob du hochsensibel bist oder nicht, kann ich dir natürlich nicht beantworten. Auf meiner Unterseite „Hochsensibilität“ findest du aber ein paar Anlaufstellen, die dir vielleicht bei deinen Überlegungen weiterhelfen können. Aber selbst, wenn du es nicht bist, scheinst du zumindest eine Frau zu sein, die öfter Zeit für sich braucht oder das Gefühl hat, in manchen Angelegenheiten anders zu ticken.
      Es ist tatsächlich kein schönes Gefühl, wenn man sich nicht mal bei anderen ausheulen kann, weil Andere einen nicht verstehen (oder zumindest denkt man das ja oft). Um so mehr freut es mich, dass du dich auf meinem Mama-Blog wohlfühlst. Also, wenn du mal Jemanden zum Reden, Auskotzen oder sonstigem brauchst, darfst du mir auch gerne eine Mail schreiben!

      Eins kann ich dir auf jeden Fall jetzt schon mal sagen und daran glaube ich ganz fest: Du bist eine gute Mutter, ganz gleich, was du manchmal fühlen solltest! Lass dir von Niemandem etwas anderes einreden, auch nicht von dir selbst!

      Aber nun fühl dich hier herzlich Willkommen und nimm‘ dir ruhig ein paar Schokokekse aus meiner Küche :)

  2. Beatrice sagt:

    Hallo Christine,
    ich kenne das auch mit der Unruhe. Ich habe sogar, wenn es zu viel wird und alle etwas gleichzeitig von mir wollen Niesanfälle und eine furchtbar juckende Nase und /oder Schluckauf. :-D Eine Zeitlang habe ich mich gefragt was das ist, woher das kommt. Bis ich den Zusammenhang bemerkte. Das klingt lustig, nervt mich dann aber enorm, weil es mich ausbremst bei allen Handgriffen oder geforderten Antworten.
    Raus gehen klappt hier auch nur bedingt . Irgendwie ticken meine Kinder da anders. An manchen Tagen brauchen sie auch die Ruhe zu Hause. Wobei das mit der Ruhe relativ ist. :-D
    An anderen Tagen ist es besser unterwegs zu sein. Und wenn es nur ein kurzer Spielplatzbesuch ist. Es hängt stark von der Tagesform ab und lässt sich nicht planen. Grundsätzlich verbringe ich gerne Zeit mit meinen Kindern. Obwohl mich diese Unruhe auch oft wahnsinnig macht. Das klingt alles so widersprüchlich. Fühlt sich auch so an. Ich kann das nicht beschreiben.
    Allerdings lerne ich auch seit kurzem meine „Befindlichkeiten“ einzuordnen. Auf der Zartbesaitet Seite habe ich schon ein paar mal den HSP Test gemacht. Mehrfach, weil ich immer dachte, er fiele vielleicht jedes Mal anders aus oder es sei ein Irrtum. Aber nach dem Test zu urteilen bin ich wohl definitiv auch „So Eine“. :-D

    Etwas was ich schon viele Jahre denke und „mache“ ist: „Die Schotten dicht.“, wenn mir etwas zu viel wird. In emotional stark aufwühlenden Situationen kann es sein, dass ich vollkommen unbeteiligt wirke und sogar auch bin, weil ich „dicht“ mache. Selbstschutz. Mir ist jedoch nicht bewusst, wann ich damit angefangen habe und seit wann das klappt. Es klappt auch nicht immer.
    So kann ich laute Geräusche bis zu einer gewissen Grenze hinter einer Wattewand verschwinden lassen. Allerdings bin ich dann für andere auch nicht gut erreichbar.

    Oh je, das klingt, als hätte ich ne Meise! :-D

    Mit dieser erheiternden Selbsterkenntnis ende ich:

    LG :-)

    1. Christine sagt:

      Liebe Beatrice,

      sei herzlich willkommen auf meinem Mama-Blog, schön, dass du da bist!
      Ich musste tatsächlich lachen über deine plötzlichen Niesanfälle und die juckende Nase, aber vor allem deshalb, weil mir aufgefallen ist, dass ich immer anfange zu gähnen, wenn es mir zu viel wird mit den Kindern. Das kommt nicht so extrem oft vor, aber wenn, dann meistens beim Vorlesen oder unterhalten. Und das ist in der Tat sehr nervig, genau wie du es auch beschreibst :-) Interessant, was für unbewusste Mechanismen der Körper kennt, um auf sich aufmerksam zu machen…

      Dein Selbstschutz mit dem „Schotten dicht machen“ klingt höchst spannend. Vor allem, wenn du es sogar steuern und aktiv anwenden kannst. Mir passiert so ein ähnlicher Zustand eher, wenn ich z.B. in überfüllten Kaufhäusern bin. Zu viel Gewusel, zu chemische Luft, zu warm. Dann kriege ich auch eher alles wie durch Watte mit, werde dann entweder müde oder schlecht gelaunt oder beides.

      Also, klingt, als wärst du nicht die Einzige, die ’ne Meise hat ;-)

      Sei lieb zurückgegrüßt!
      Christine

      1. Natalia sagt:

        Liebe Christine,

        gerade musste ich so herzhaft über dein Super-Gau lachen 😂 das ist nämlich auch bei mir so (darüber zu lachen ist neu und hart erkämpft). Wenn unsere Jungs (4 und 7) eine Rotznase bekommen, werden sie wärmer angezogen, bekommen frisch gepressten O-Saft, Zwiebelsirup, etc. damit sie nicht krank werden und ich sie dann nicht zu Hause betreuen muss!
        Natürlich möchte ich nicht, dass es ihnen schlecht geht, aber ganz ehrlich: ein krankes Kind den ganzen Tag betreuen oder noch schlimmer tagelang!!!…das macht mich fertig.
        Wenn mein Mann auf Konferenzen unterwegs ist, zähle ich die Tage, wenn nicht gar die Stunden, bis er zurück kommt.

        Ja, auch das tägliche oder doch häufige Gassi-gehen im Wald mit den beiden ist Balsam für die Seele, allen geht es besser, wenn wir lange in der Natur waren…das ist immer so.

        Klar, Schuldgefühle, Scham und Unverständnis beherrschten mich lange und manchmal noch…für mich sind Mütter mit wirklich kranken Kindern (oder mit Handicap) Heldinnen.
        Für mich sind unsere beiden gesunden und objektiv betrachtet recht pflegeleichte Kinder eine Herausforderung…was hätte ich getan, wenn sie anders zur Welt gekommen wären?
        Diese Tests während der Schwangerschaft um festzustellen, ob das Kind möglicherweise eine Trisomie hätte, habe ich nie gemacht, weil naiv wie ich damals war, dachte: das spielt keine Rolle! Mein Kind werde ich so oder so lieben…das tue ich auch, auch wenn ich keine geborene Mutter bin.
        Mein großes Ruhebedürfnis war mir vor den Kindern nicht bewusst.
        Weinende oder trotzige Kinder sind mir ein Graus (aber nur bei meinen, bei anderen kann ich besser abschalten, für andere Kinder bin ich nicht verantwortlich).

        Seit kurzem erst weiß ich, dass auch ich hochsensibel bin…das taucht alles in ein anderes Licht. Trotzdem ist der Alltag anstrengend, auch wenn einiges nun mehr Sinn ergibt und es jetzt primär darum geht Wege und Hilfsmittel zu finden, damit wir alle besser zur Ruhe kommen…bzw. hauptsächlich ich :)

        Im Grunde alles ganz einfach, wenn es nicht so schwierig wäre ;)

        Dein Blog ist auch Balsam für meine Seele! Danke :D
        Natalia

      2. Christine sagt:

        Liebe Natalia,

        vielen Dank auch dir für deine offenen und ehrlichen Worte aus deinem Alltag!
        Ich wünsche dir sehr, dass du mit deinem neugewonnenen Wissen über deine eigene Hochsensibilität dich selbst immer mehr verstehst und noch besser kennenlernst. Auf was du wie stark reagierst, wo deine persönlichen (Schmerz-)Grenzen sind, usw. Und natürlich drücke ich dir die Daumen, dass du im Zuge dieser Erkenntnisse die für dich passenden Wege findest, mehr Ruhe in deinen Alltag zu integrieren und dir dabei kein schlechtes Gewissen machst.

        Alles Liebe dir <3

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