Mama-Momente

Reif für die Insel


Die Matratze schmiegt sich weich an mein Gesicht. Von Draußen dringt melodisch Amselgezwitscher durchs gekippte Fenster. Der kühle Abendwind umfängt mich sacht. Kinder kreischen irgendwo. Es könnte der idyllische Auszug eines Frühlingsgedichts sein, wäre da nicht die kleine Träne, die sich leise ihren Weg über meine Wange bahnt. Ich liege nicht in meinem Bett, weil ich den Vögeln beim Singen zuhören will. Ich liege in meinem Bett, weil ich nebenan am Abendbrottisch nicht explodieren wollte. Ich liege in meinem Bett, weil ich mein Mutterdasein satt habe.

Niemand hatte mich gewarnt. Niemand fragte, ob ich mir das mit dem Kinderkriegen wirklich gut überlegt hatte. Niemand hatte mir erzählt, was da an geballtem Stress auf mich zukommen würde. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern. Wahrscheinlich wollte ich es auch einfach nicht hören. Wie sollten zwei Wunschkinder mein Leben auch dermaßen verändern, dass ich mir öfter mein kinderloses Leben zurückwünschen würde, als ich mich täglich am Hintern kratze?

Reif für die Insel
Es gibt Dinge im Leben, die stellen einen vor gewaltige Herausforderungen. Bei mir sind das beispielsweise Excel-Tabellen. In Sekundenschnelle baut sich da eine Mauer in mir auf, die mir klipp und klar zu sagen scheint: Du kannst ja meinetwegen noch ein paar Minuten so tun, als ob du dich damit auseinandersetzen willst, aber um unser aller Wohl solltest du ganz schnell dieses Programm schließen!

Bei Excel-Tabellen geht das. Die kann ich einfach ignorieren und ein anderes Programm wählen, wenn ich das möchte. Dann muss ich mich nicht damit arrangieren. Bei Kindern geht das nicht. Die kann ich zwar in bestimmten Situationen ignorieren, wenn die Erziehungsmaßnahme es gerade erfordert, aber ganz ausschalten kann ich sie nicht.

Reif für die Insel
Aber genau das macht mir immer wieder zu schaffen seit über vier Jahren, seit der erste Sohn das Licht der Welt erblickt hat. Lange Zeit bereute ich die Mutterrolle völlig. Wünschte mir die Kinder zum Mond oder sonst wo hin, wo ich mal nicht vierundzwanzig Stunden am Tag für sie verantwortlich bin. Schöne Augenblicke mit den Kindern und Freude an meinem Mamadasein waren lediglich genau das: Augenblicke. Lichtvolle Momente in einer ansonsten so dunklen Wolke aus Wut, Verzweiflung und der Sehnsucht nach einem Leben ohne Kinder.

Heute hat sich das zum Glück gedreht. Die Mutterrolle ist zum festen Bestandteil meines Lebens geworden, auch, wenn es lediglich in kleinen Schritten passierte. Ich gewöhnte mich zunehmend an den Zustand, nun die Verantwortung für zwei quirlige Jungen zu haben und nie wieder die kinderlose Frau zu sein, die ich davor mal war. Damals, vor über vier Jahren, als ich noch dachte, ich hätte schon alles Wichtige gelernt, was das Leben einen lehren will und blauäugig optimistisch das Thema Familienplanung anging.

Reif für die Insel
Ja, es hat sich gedreht. Und trotzdem gibt es auch heute noch die Momente, in denen ich aus meiner Mutterrolle ausbrechen will. In denen ich heulend auf dem Bett liege und wütend überlege, ob man einen Vier- und einen Dreijährigen noch zur Adoption freigeben kann. Momente, in denen ich am Liebsten das Fenster ganz aufreißen und den fremden Nachbarskindern zubrüllen möchte, sie sollen nun mal endlich aufhören mit ihrem Geschrei.

Mein Mann legt sich zu mir aufs Bett. In weiser Voraussicht hat er die Kinder schon mal alleine ins Bett gebracht. Heute will ich sie nicht mehr sehen. Die Vögel zwitschern immer noch da Draußen. Die Nachbarskinder kreischen ebenfalls noch in der gleichen Lautstärke wie vorhin. Das Leben geht weiter. Auch für mich als Mutter. Morgen ist ein neuer Tag. Seit geraumer Zeit planen mein Mann und ich einen Kurztrip nach Sylt. Drei Tage übers Wochenende. Nur wir beide. Vielleicht ist es langsam an der Zeit, das Ganze mal in die Tat umzusetzen.

5 Gedanken zu „Reif für die Insel“

  1. SilkeAusL sagt:

    Kann ich total nachempfinden, mir geht es im Moment genauso, vielleicht sogar noch weit entfernt von Deinem Arrangement mit der Mutterrolle. Ich habe aber leider keinen, der mir die Kinder ins Bett bringt. Der am heutigen Feiertag, der eeeeewig zu dauern scheint(effektiv mit Kindern 14 Stunden!)mal sagt:“Komm, geh mal ne Runde alleine los und reg Dich ab, ich komm alleine klar.“…
    Wir haben den ganzen Tag vor uns hingedümpelt und die Kinder waren natürlich total unzufrieden, weil es zu wenig Programm gab. Ich konnte sie zwischenzeitlich mal überreden, alleine zu spielen, aber die Ruhe währte nur 5 Minuten, als die Erste wieder jaulend ankam.Wenn solche „freien“Tage sind, bin ich normalerweise mit ihnen unterwegs, hatte aber heute keine Kraft dazu. Und als hätte das nicht gereicht, gab es von ihnen immer noch einen oben drauf…
    Man, hätte ich mich gerne ganz weit weg gewünscht.Alleine!

    LG Silke

    1. Christine sagt:

      Liebe Silke,

      lieben Dank für deine offenen Worte! Hast du schon mal darüber nachgedacht, deinen Kindern eine feste Spielzeit zu „verordnen“, in der sie sich alleine beschäftigen sollen? Nicht als Strafe im Sinne von: „Ihr müsst jetzt 30 min alleine in eurem Zimmer spielen“, sondern eher „Jeder darf jetzt mal 30 min für sich alleine haben. Ich möchte in der Zeit nicht gestört werden, weil ich auch etwas für mich machen will (z.B. lesen).“ Mit dem Versprechen, dass du dich ihnen nach dieser vereinbarten Zeit wieder ganz widmest.

      Wäre das eine Idee für so lange Tage, an denen du alleine verantwortlich bist? Ich weiß, das ist schwer umzusetzen, vor allem, weil die Kinder anfangs vehement testen wollen, ob du es auch wirklich ernst meinst/durchhältst. Ich habe es selbst schon ausprobiert und spreche aus Erfahrung (vielleicht blogge ich auch mal darüber). Ich finde es eben auch wichtig, dass wir Mütter/Eltern unseren Kindern vermitteln, dass Jeder mal seine Auszeit und Zeit für sich braucht. Kinder wie Mütter. Und wie sollen wir ihnen das beibringen, wenn wir es ihnen nicht vorleben?

      Ich wünsche dir ganz viel Kraft und starke Nerven, du Liebe!

  2. Claudia sagt:

    Liebe Christine! Deinem Beitrag nach zu urteilen habt Ihr beide Euch als Paar wirklich mal wieder eine Auszeit ohne Kinder verdient. Mal raus aus der Elternrolle, die Verantwortung für die Kleinen mal für ein paar Tage anderen vertrauten Personen überlassen, mal abschalten, durchatmen, ausschlafen und wahrlich den Gesang der Vögel geniessen. Dein Beitrag ist sehr ehrlich und mittreissend geschrieben und ich möchte behaupten, dass es nicht nur Dir ab und an so geht. Ich finde auch nichts Verwerfliches an der Tatsache, dass der Mensch „Mama“ auch nur ein Mensch ist und eben keine Sklavin ihrer Kinder. Wenn es zuviel wird, dann ist es eben zuviel und man muss die Notbremse ziehen. Wir sind ja alle keine Übermenschen, die 24/7 funktionieren und allzeit abrufbereit sein müssen. Ich finde es gut, dass Du auf ehrliche Art und Weise Deinen Dampf mal abgelassen hast und auch offen Deine Rolle als Mutter hinterfragst. Ich bin ja eh der Meinung, dass man in diese Rolle reinwächst und sicherlich keine Mutter von Anfang an problemlos diese neue Aufgabe annimmt. Liebe Grüsse und auf einen hoffentlich baldigen Urlaub!! Liebe Grüsse! Claudia

    1. Christine sagt:

      Liebe Claudia,

      ich danke dir für deine aufbauenden Worte!
      Der Blog ist tatsächlich ein gutes Ventil, um meinem Ärger Luft zu machen und meine Gedanken wieder zu ordnen. Alleine das Schreiben half mir schon sehr, denn danach ging es mir auch schon wieder viel besser!

      Komischerweise fühlt es sich immer komisch an, wenn ich sage, dass ich Urlaub „von meinen Kindern“ brauche. Das klingt immer nach Rabenmutter und ich glaube, das kann auch nicht Jede(r) nachvollziehen. Anders ist das, wenn man im Job überarbeitet ist. Da nicken alle verständnisvoll. Ich merke gerade, du hast mich zu einem nächsten Blogbeitrag inspiriert ;-)

      Liebe Grüße
      Christine

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