Mama-Momente

Das weiße Pferd

Es gibt Dinge im Leben, die passieren einfach. Passieren mir, passieren dir. Lohnt es sich, sie zu hinterfragen? Wer weiß das schon.

Ich sitze in meinem Lesesessel. Du hast mich gerade etwas gefragt. Ich weiß nicht mehr was, aber wahrscheinlich hat es mit meinem Gemütszustand zu tun, denn ich breche als Antwort in Tränen aus.

„Wenn ich morgen aufwache und merken würde, dass die letzten fünf Jahre nur ein Traum waren, ich würde einfach nur Erleichterung fühlen“ schluchze ich und du hältst tröstend meine Hand.

Dabei hatte ich mich doch gerade erst auf den Weg gemacht. Mich auf das Abenteuer Eigenbetreuung statt Kindergarten eingelassen. Niemand hatte mich dazu gezwungen, nicht mal darum gebeten. Meinen fast Fünfjährigen von nun an zuhause zu lassen, um seiner selbst wegen, das war allein meine Idee, meine Entscheidung gewesen. Und jetzt saß ich bereits nach der ersten Woche heulend da, am Ende meiner Kräfte.

Ja, ich wusste, dass die Zeit zuhause mit Sohn Maxi eine Herausforderung werden würde. Eine gewaltige Herausforderung. Nicht nur, dass er sehr viel Aufmerksamkeit einfordert und wahrscheinlich hochsensibel ist; zu allem Überfluss bin ich es auch und ich bin ständig überfordert im Alltag mit Kind an der Hand.

Das weiße PferdPermanent als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Nie mein eigenes Tempo gehen zu dürfen, ob mental oder körperlich. Immerzu von Geräuschen, Gefühlsausbrüchen (vor allem den Negativen) und Gewusel umgeben zu sein. Wieso tue ich mir das freiwillig an, wenn ich schon in unfreiwilligen Momenten dabei an meine Grenzen stoße?

Diese Entscheidung, die innere Gewissheit, dass es genau der richtige Weg für ihn, für uns, ist, kann ich nur schwer in Worte fassen. Nicht mal enge Freunde oder Familienmitglieder müssen das verstehen. Rational gesehen, in Hinblick auf meine eigenen Bedürfnisse nach Ruhe und vielen Auszeiten für mich, ist es selbst für mich schwer nachvollziehbar. Aber solche Dinge entscheide ich selten rational.

Und plötzlich steht es wieder vor mir. Das weiße Pferd. Stark, voller Zuversicht, eine tiefe Ruhe ausstrahlend. Es sagt nichts, es macht nichts. Es guckt mich nur an. Und erreicht mich ganz tief in mir drin.

Wie fühlen sich wohl Pilger auf dem Jakobsweg oder auf welcher Strecke auch immer, die sie ganz speziell für sich gewählt haben, um zu sich zu finden? Laufen die ihre drei Wochen, drei Monate oder gar Jahre durch, ohne ihr Vorhaben auch nur einmal zu bereuen? Wie viele denken vielleicht schon nach ein paar Stunden daran, aufzugeben?

Das weiße PferdUnd trotzdem laufen sie alle weiter. Sie laufen weiter, weil sie wissen, dass Schmerzen, Rückschläge und die Sehnsucht nach einer bequemeren Alternative zum Pilgern dazugehören. Denn nur, indem sie ihren gewählten Weg weitergehen, haben sie am Ende auch die Möglichkeit, ihr gewünschtes Ziel zu erreichen.

Ähnelt mein Weg nicht auch dem eines Pilgers?

Natürlich würde ich nach Erwachen aus dem Traum nicht nur Erleichterung fühlen. Meine Kinder würden mir fehlen, alle beide. Und es gibt sie ja auch reichlich, die schönen Momente mit ihnen, die mir die Bestätigung geben, dass ich ihn schaffen kann, meinen persönlichen Pilgerweg.

Die spontane Schneeballschlacht auf dem menschenleeren Spielplatz heute Morgen um kurz vor Neun. Die Vorlesestunde mit Pettersson und Findus, die Maxi und ich letzte Woche aneinandergekuschelt in seinem neuen Hochbett verbracht haben. Seine rührende Bitte, mit mir einmal gemeinsam den Sonnenuntergang angucken zu dürfen.

Es sind diese Augenblicke, die fest in meinem Herzen verankert sind. Und dennoch wiegen sie wenig in Stunden wie diesen, in denen ich heulend dasitze und mir mehr Freiraum und weniger Fremdbestimmtheit wünsche.

Manchmal taucht es dann wie aus dem Nichts vor meinem inneren Auge wieder auf. Weiß und elegant, mit seinen klugen braunen Augen, die mich anschauen und mich völlig durchdringen. Diese Augen, die mir sagen, dass alles gut ist und auch gut werden wird.

Ich weiß nicht, wo es herkommt, ob ich es jemals gerufen habe. Ich weiß nur, dass ich dankbar bin, wenn es auftaucht.

Das weiße PferdMein Pilgerweg, mein Abenteuer namens Eigenbetreuung, hat gerade erst begonnen. Ich bin mir sicher, dass die härtesten Stunden erst noch kommen werden. Wunde Füße, schwere Herzen.

Ich weiß, ich bin nicht allein. Anderen Müttern da Draußen ergeht es täglich so wie mir. Und das weiße Pferd ist auch immer an meiner Seite. Meist unsichtbar, manchmal deutlich wahrnehmbar, aber immer da.

Ist es ein Engel? Ein schamanisches Krafttier? Oder doch nur eine Projektion meines Unterbewusstseins? Ich habe keine Ahnung. Und ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal. Hauptsache, das weiße Pferd begleitet mich. Dann komme ich zu meiner Mitte.

Dann ist alles gut.

 

Fotolizenzen: ©mariait; ©nature photos; ©Elya Vatel; ©Francey; alle Shutterstock

11 Gedanken zu „Das weiße Pferd“

  1. Silke sagt:

    Huhu, ich finde mich in sooo vielen deiner Texte… ich habe auch ein weißes Pferd. Ein echtes, es gehört mir nicht, aber ich darf es reiten, wann immer ich eine „Auszeit“ von meinen Kindern habe. Ich liebe diese Zeit, diese Ausritte, Ruhe, Natur… leider kann ich hier kein Foto hochladen… viel Kraft und gute Nerven… Silke

    1. Christine sagt:

      Hallo Silke,

      stimmt, davon hattest du mir schon mal erzählt! :-) Nur, dass es ein Schimmel ist, das wusste ich noch nicht ;-) Wie schön, ich beneide dich drum!!
      Danke für deine Worte…

  2. sonja sagt:

    Liebe Christine,
    alles GUTE weiterhin auf diesem mutigen Weg…ich verfolge Deinen Weg nach wie vor sehr interessiert und GROSSES Lob zu Deinem neuen Blog (auch ein mutiger Schritt :-))
    liebe Grüße
    Sonja

    1. Christine sagt:

      Sonja! Wie schön von dir zu hören! Ich hoffe es geht dir gut und dein Shop läuft auch weiterhin gut?
      Danke für deine lieben Worte und dein Lob. Freut mich, dass dir mein neuer Mama-Blog gefällt :-)

      Ganz liebe Grüße
      Christine

      1. Sonja sagt:

        Liebe Christine,
        ja – Shop und Kind (meiner wird dieses Jahr schon 10 – verrückt :-)) geht es gut…
        Dir noch alles Liebe weiterhin auf Eurem Weg – mit möglichst vielen „Inseln“ für Dich :-)
        liebe Grüße
        Sonja

  3. Claudia Schubert sagt:

    Liebe Christine…oh ja, kein Weg ist gradlinig und ohne Hindernisse, steile Aufstiege oder metertiefe Abhänge. Du bist mutig, diese Entscheidung getroffen zu haben, in dem Du vor allem auf Dein Gefühl als Mutter und die reellen Bedürfnisse Deines Sohnes gehört hast. Gib Dir Zeit, um Dich an die neue Situation zu gewöhnen. Und behalte Dir Dein weißes Pferd im Auge!! Viele Grüße! Claudia

    1. Christine sagt:

      Liebe Claudia,

      danke, das werde ich machen! Vielen lieben Dank für deine aufmunternden Worte!! :-)

  4. Nadja sagt:

    Oh Mann, jetzt schicke ich mal Herzen!! ❤️❤️❤️
    Wie kannst du nur so perfekt in Worte fassen, wie ich mich fühle!
    Mein Pferd ist unsere Waschküche, in die ich mich ab und zu davonstehle und heimlich eine Zigarette rauche, während im Wohnzimmer Krieg herrscht.
    Die Waschmaschine beruhigt ungemein!! 😂

    Halte durch! Ich bin mir sicher es lohnt sich!

    1. Christine sagt:

      Liebe Nadja,

      ich musste schon ein wenig schmunzeln, als ich von deiner Waschmaschine gelesen habe :) Das wäre hier gar nicht möglich, weil mein Ältester dann gleich in der Tür stehen würde um zu fragen, ob er mir beim Andrücken helfen könnte :-D
      Toll, dass du deinen Rückzugsort gefunden hast und immer wieder für die kleine Auszeit zwischendurch nutzen kannst!
      Sei lieb gegrüßt!

  5. Jules sagt:

    Mein Krafttier ist ein Eisbär. Seltsam, auch ganz weiß..

    1. Christine sagt:

      Vielleicht ist es gar nicht so seltsam ♥

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