Lebensfragen

Manchmal

Manchmal hat ein Tag zu viele Stunden, eine Woche zu viele Tage, ein Jahr zu viele Sekunden. Du fragst dich, wo die Zeit geblieben ist, die du einmal nur für dich hattest. Als kein Kind deine permanente Aufmerksamkeit einforderte, keine Mutterpflichten dich in eine feste Alltagsstruktur zwangen. Die Zeit scheint verronnen, wie in einer Sanduhr.

Manchmal fühlst du dich schutzlos, als hätte Jemand deine Schutzhülle, die dich umgibt, durchdrungen. Dann bist du nicht mehr du selbst, stehst neben dir und guckst dir selber von Außen zu. Am Liebsten würdest du dich dann im nächst besten Schneckenhaus verkriechen und von Niemandem mehr angesprochen werden.

Manchmal werden Gerüche für dich zur Qual. Dann magst du dein Kind nicht wickeln, das Erbrochene auf der Matratze nicht wegwischen, die Zigarette vom Fahrgast gegenüber am Liebsten aus dem Fenster werfen.

Wie hochsensible Mütter ihren Alltag erlebenManchmal denkst du: „Kopf, hör auf zu denken!“ Aber die Gedanken kommen und gehen wie sie wollen. Du willst raus aus deinem Kopf, aus deinem Körper, um die Stille zu erleben. Und dann erkennst du, dass die Stille nur tief in dir drin zu finden ist.

Manchmal glaubst du, nicht stark genug für alles zu sein. Die Verantwortung für dein Kind, die dich schier zu erdrücken scheint. Das Familienleben, das du dir harmonischer vorgestellt hast. Du blickst zurück auf alte Zeiten und schämst dich für Gedanken, die dir dabei kommen.

Wie hochsensible Mütter ihren Alltag erlebenManchmal klingen Regentropfen wie hundert Spechte, die an deine Fensterscheibe klopfen. Dann möchtest du sagen: „Regen, falle leiser! Bitte nur heute, denn das Kind schläft nebenan.“

Manchmal fühlst du dich selbst wie so ein Regentropfen. Du weißt weder, aus welcher Wolke du kamst, noch, wohin der Wind dich treibt. Du reist einfach zur Erde. Einsam, schwer und nass. Dann, in einer Pfütze auf dem Asphalt, triffst du auf viele weitere Tropfen und merkst: Du bist nicht alleine gereist. Alles ist miteinander verbunden.

Manchmal fragst du dich, warum du so sensibel bist und kein Mensch dich zu verstehen vermag. Sinneseindrücke, Stimmungen, Emotionen. Alles prasselt ununterbrochen auf dich ein, ob es dir passt oder nicht. Du lebst in einer Welt voller Reize, bist selbst leicht reizbar. Du empfindest alles durchdringender als Andere. Dein Leben ist intensiver.

Nutzt du dieses verborgene Geschenk?

2 Gedanken zu „Manchmal“

  1. Aschilli sagt:

    Wow, dieser Beitrag hat mich sehr berührt! Danke!

    Ich, 37, selber HSP (speziell high sensation seeker) mit Mischung ADHS… Alleinerziehende mit einem 4 jährigen Sohn.
    Ich weiß, seid einiger Zeit, dass ich hochsensibel bin und für mich ist diese Begabung ein Segen und Fluch zugleich.

    Ich liebe die vielen unterschiedlichen Emotionen, ich liebe die tiefgründigen Gedanken, Fantasien, die ich tagtäglich erleben darf, vor allem wenn ich in der Natur bin, Musik höre, ein sehr gutes Buch lese oder einen fantastischen Film sehe. Oder auch wenn ich ein tolles Gespräch mit einem mir lieben Menschen führe.Ich mag meine starke empathische Seite.
    Doch auch all das ist gleichzeitig auch der Fluch, wenn es zu laut ist, zu viele Eindrücke auf mich einrasen, ich die Intoleranz und unsensiblen Arten der Menschen sehe, höre, fühle… dann fühle ich mich fremd auf diesem Planeten. Dann sehne ich mich nach Ruhe, stille, Einsamkeit… dann möchte ich am liebsten fliegen können…,

    Ich habe Orte gefunden, an denen ich mich gut aufgenommen fühle…, an denen ich zu mir finde und alles verarbeiten kann…das Meer, die stürmische See und auch eine Kirche (rein das Gebäude). Die Stille in diesen Gebäuden ist einmalig, dass es mich jedesmal zu Tränen rührt.

    Ja, ich bin dankbar für dieses Geschenk der Begabung.

    Ich bin auch in therapeutischer Behandlung, in der mir angeboten wurde, den fehlenden Filterschutz medikamentös zu unterstützen. Alleine die Vorstellung meinen geöffneten Geist, meine hellhörige Seele und mein offenes Herz zu verlieren, machte mich derart traurig, dass ich dankend darauf verzichtet habe.

    Ich bin dankbar für dieses einmalige Geschenk aber ich weiß auch, dass wir HSP uns ganz besonders Schützen müssen, auf uns acht geben müssen!

    Danke für all deine Beiträge!!

    1. Christine sagt:

      Herzlichen Dank für deine emotionalen und berührenden Worte! Du hast die Hochsensibilität so schön beschrieben, ich habe eine Gänsehaut bekommen :) Vor allem stimme ich dir zu, dass es eine Schande wäre, diese intensive Wahrnehmung medikamentös zu behandeln (also quasi einzudämmen). Ich freue mich sehr für dich, dass du dich dagegen entschieden hast und dich in stressigen Momenten lieber anders, vor allem achtsam, schützen möchtest.

      Viele liebe Grüße, die von Herzen kommen ♡

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