Lebensfragen

Will man als Mama jede Sekunde mit seinem Kind verbringen?

„Ist das wahr, Christine? Möchte man nach der Geburt wirklich keine Sekunde mehr ohne sein Kind verbringen?“ Peng, da war sie wieder. Eine der vielen Fragen, die so selbstverständlich und häufig gestellt werden wie die Frage, ob Nutella mit oder ohne Butter auf dem Brot besser schmeckt. Eine Frage, die, wie mir schien, jede Mutter mit einem jauchzenden „Ja natürlich!“ beantworten und damit der fragenden Person ein beruhigendes Lächeln auf die Lippen zaubern würde. Jede Mutter außer mir, wie mir in diesem Moment wieder durch den Kopf ging.

Carmen, eine entfernte Bekannte, stand nur noch wenige Tage vor der Entbindung ihres ersten Kindes und jetzt mit mir an dieser Straßenecke, an der sich unsere Wege wie jede Woche nach dem Kurs trennen würden. Ein wenig verunsichert, aber voller Vorfreude auf ihr kleines Mädchen, stellte sie ausgerechnet mir diese Frage, wohl in der Annahme, ich würde ihr gleich mitteilen, was für einem positiven Schwall an Gefühlen sie nach dem Durchtrennen der Nabelschnur hundertprozentig ausgesetzt sein würde. Dass jede Mama dieser Welt nach Verlassen des Kreißsaals nur noch mit der rosaroten Brille durch die Gegend laufen und ihre Sprösslinge über sich, ihren Partner und sowieso über alles was geht stellen würde, bis die Kinder mit 18 ausgezogen sind (und vielleicht sogar noch darüber hinaus).

Bei mir war das etwas anders. Nicht zuletzt deswegen, weil ich mit unserem Maxi eh schon durch postpartale Depressionen einen schwierigen Start hatte. Aber auch nach Minis Geburt fühlte ich schnell, dass ich neben dem Muttersein noch eine eigenständige Frau bin, die ihren Freiraum und viel Zeit für sich braucht.

Die überschwänglichen Gefühle zum Kind, die sogar die Liebe zum eigenen Mann in den Schatten stellen würden, empfand ich in dem Maße nicht.

Die Liebe zu meinen Kindern ist stark. Aber sie ist eine ganz andere. Nicht zu vergleichen mit der partnerschaftlichen, die ich für meinen Mann hege. In meinen Augen muss das kein Widerspruch sein.

Natürlich war es für mich lange, sehr lange Zeit schwer zu akzeptieren, dass ich wohl zu einer mütterlichen Minderheit zählte, die es nicht ertragen kann, ihren Nachwuchs vierundzwanzig Stunden am Tag um sich zu haben. Die nur in Abwesenheit von Sohn oder Tochter richtig zur Ruhe kommt und auftankt. Immerhin scheint ja das Gros der Gesellschaft anders zu denken und zu fühlen. Mütter, die ihre Kinder lieben, wollen rund um die Uhr Zeit mit ihnen verbringen, alle Anderen sind Rabenmütter?

Will man als Mama jede Sekunde mit seinem Kind verbringen?Ich denke nicht, dass diese Aussage stimmt. Jeder Mensch ist anders, hat eigene Erfahrungen im Leben gemacht, besitzt eine höhere oder niedrigere Stressgrenze und braucht andere Dinge zum Auftanken. Die Einen gehen zum Sport oder zum Malkurs, andere treffen sich mit Freunden oder können erst alleine auf der Couch abschalten. Und wieder Andere können eben am Besten im Beisein ihrer Kinder entspannen.

Und obwohl ich mir oft gut zuredete, mir sagte, dass es auch anderen Müttern so geht wie mir, die eben eine gewisse Zeit am Tag für sich brauchen und das nicht bereuen, dauerte es lange, einzusehen, dass es damit nur für alle Beteiligten das Beste ist. Was nützt es dem Kind, wenn seine Mutter aus Schuldgefühlen den ganzen Tag mit ihm verbringt, nur um völlig platt, energielos oder sogar leicht reizbar zu sein? Dann doch lieber die Nummer des Babysitters wählen, um sich anschließend an den Kindern und der gemeinsamen Zeit wieder erfreuen zu können.

Mit der Zeit stellte ich jedenfalls fest, dass ich, wenn die Kinder einmal anderweitig untergebracht sind, sofort abschalten kann und mir keine Gedanken mehr mache, was der Babysitter alles falsch machen oder in meiner Abwesenheit schlimmes passieren könnte. Das betrachte ich als enormen Vorteil. Abgeben, auch mal loslassen können. Das müssen wir Mütter sowieso mit der Zeit immer häufiger lernen, spätestens wenn der Kindergarten, die Schule, die Uni beginnt oder der Sohn, die Tochter sich ausgerechnet die falschen Kindergartenfreunde aussucht oder einen anderen Lebensweg wählt, als wir uns für unser Kind erhofft hatten.

„Und, ist das nun wahr, Christine? Möchte man nach der Geburt wirklich keine Sekunde mehr ohne sein Kind verbringen?“ Was man möchte, kann ich dir nicht sagen, Carmen, aber wie ich die Dinge sehe, kannst du dir nun vielleicht etwas besser vorstellen.

Natürlich wünsche ich meiner Bekannten Carmen nur das Beste für die Geburt. Dass sie von positiven Glücksgefühlen überrannt wird und ihr Baby am Liebsten nicht mehr aus dem Arm geben will, wohin sie auch geht. Und dennoch habe ich ihr an diesem Abend an der Straßenkreuzung kurz und knapp erzählt, dass es bei mir ein klein wenig anders war.

Ich mag nichts schönreden, auch wenn wir uns nicht so nahe stehen, dass ich ihr gleich meine Lebensgeschichte inkl. postnatalen Depressionen erzählen würde. Aber wenn sie zufällig zu dieser Minderheit gehören sollte, die am Anfang vielleicht ein wenig überfordert ist mit sich, mit ihrem Baby, mit dem neuen Alltag überhaupt und sich einfach mal nur wieder nach sich selbst sehnt, weiß sie jetzt immerhin, dass es vielleicht gar nicht so unnormal ist.

Fotos mit freundlicher Unterstützung von © Helena Lopes, © Karsten Winegeart, unsplash.com.

20 Gedanken zu „Will man als Mama jede Sekunde mit seinem Kind verbringen?“

  1. Jennifer sagt:

    Hallo,

    ich finde es sehr schön, wie du beschreibst dass jeder anders ist und Anderes braucht und dass dies o.K. so ist. Ein wirklich schöner Artikel der auch Mut macht!

    Jennifer

    1. Christine sagt:

      Liebe Jennifer,

      es freut mich, dass du dir etwas aus meinem Mama Blogbeitrag für dich mitnehmen konntest!
      Liebe Grüße und danke für deinen Kommentar!

      Christine

  2. seitdudabist sagt:

    Ein schöner Artikel, finde ich!
    Und, was ich auch finde: Ich bin sicher, es geht ganz vielen (wenn nicht sogar dem Großteil) Müttern so – und das ist auch „gut“ und „normal“ und „richtig“ so! Nur sprechen nicht viele so offen darüber, dass sie die erste Zeit mit Baby furchtbar anstrengend finden und sich nichts sehnlicher wünschen als ein bisschen freie Zeit nur für sich ganz allein zu haben. Das Dilemma besteht vermutlich darin, dass gesellschaftlich das (angeblich typische) Friede-Freude-Eierkuchen-Bild der glücklich lächelnden Mutter erwartet wird. Das steigert die eigenen Erwartungen, die frau schon in der Schwangerschaft an sich selbst stellt – und dies wiederum vielleicht das Risiko, eine postnatale Depression zu entwickeln?

    (Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich keine postnatale Depression hatte und hier nur mutmaße und eine Depression keinesfalls „kleinreden“ möchte! Spreche nur aus meiner bisherigen – erst knapp anderthalbjährigen – Mama-Erfahrung…)

    1. Christine sagt:

      Hallo :)

      Ein sehr guter Ansatz: Auch, wenn postpartale Depressionen viele Ursachen haben können und jede Mutter, die daran erkrankt, vielleicht Andere hat: Ich denke auch, dass der Druck, dem Bild einer glücklichen Mutter entsprechen zu müssen, auf jeden Fall mit ein Grund sein kann, eher an einer tieferen Wochenbettdepression zu erkranken, als wenn man weniger Ansprüche an sich und die bevorstehende Mutterrolle stellt. Der Anspruch an Perfektionismus ist meiner Meinung nach nie gut und in der Elternrolle schon mal völlig fehl am Platz…
      Ich freue mich zu hören, dass du nicht unter postnatalen Depressionen gelitten hast und ich habe es auch nicht so verstanden, als ob du diese psychische Erkrankung kleinreden wolltest :)
      Liebe Grüße und danke für deinen ehrlichen Kommentar!
      Christine

  3. Anna sagt:

    Liebe Christine,
    ich sags ganz offen und schäme mich auch nicht dafür: ich freue mich auch, wenn ich mal Auszeiten ohne Kind habe, in denen ich auftanken und Dinge nur für mich tun kann. Und ich liebe meine Tochter – das kann ich mit voller Überzeugung behaupten – mehr als ich irgendeinen anderen Menschen auf der Welt liebe. Aber dennoch ist – gerade das erste Babyjahr – sehr anstrengend, geht an die Substanz und irgendwie auch manchmal langweilig, weil man mit so einem Baby ja noch nicht viel anfangen kann. Und ehrlich gesagt ist es auch jetzt manchmal schwer: wenn das Kind einen Wutanfall bekommt und nicht wieder herausfindet und damit auf meinen Nerven rumtrampelt.

    Und ganz abgesehen davon: unsere Kinder möchten glaube ich – ab einem gewissen Alter – auch nicht mehr jede Sekunde mit uns Eltern verbringen. Sie möchten lernen auf eigenen Beinen zu stehen und das ist ja auch gut so.

    Genau wie wir wollen sie nicht nur „Mama“ bzw. „Kind“ sein, sondern eben auch Individuum.

    Ich jedenfalls kenne in meinem Freundeskreis keine einzige Mama, die pausenlos und jede Sekunde mit ihrem Kind verbringen will.
    Liebe Grüße, Anna

    1. Christine sagt:

      Liebe Anna,

      ich glaube, da sprichst du einen sehr wichtigen Punkt an: Irgendwann wollen ja auch die Kinder flügge werden und dann nicht mehr so am Rockzipfel der Eltern kleben. Da denke ich gerade auch an Mütter, denen es schwer fällt, ihr Kind im Kindergarten morgens abzugeben, obwohl der Nachwuchs schon längst fröhlich auf dem Bauteppich spielt.
      Danke für deine ehrliche und persönliche Stellungnahme!
      Lieben Gruß

  4. Nadine sagt:

    Liebe Christine,
    es ist vollkommen in Ordnung, das du so denkst. Jede Mama weiß für sich am besten wie sie ihre Batterien wieder auflädt und was ihr gut tut.
    Liebe Grüße

    1. Christine sagt:

      Liebe Nadine,

      herzlich willkommen auf meinem Mama Blog und lieben Dank für deinen netten Kommentar! :)
      Christine

  5. Katarina sagt:

    Ich drück dich mal ganz fest! :) Und ich glaube es gibt mehr Mamas wie dich da draußen als du glaubst. Die geben es nur nicht zu, wegen dem „Rabenmutter“ Gedöns.

    1. Christine sagt:

      Liebe Katarina,
      ich danke dir fürs Mutmachen! :)

  6. Rosalie sagt:

    Kann es sein, dass es dir nur so vorkommt, als seien Mütter wie du ’nur‘ eine Minderheit? Ob man das denkt liegt wohl eher am Umfeld.
    Da ich meine Kinder schon sehr früh in die Kita brachte, kenne ich eigentlich nur Mütter, die ihre Babys alle schon mit wenigen Monaten abgeben und dann wieder Vollzeit arbeiten. Und ich treffe ja auch nur da Mütter und abends auf dem Spielplatz auch nur solche Mütter, weil alle anderen schon den ganzen Tag aufm Spielplatz waren und abends zu Hause sind. Ich würde aber nie denken, dass das die Mehrheit der Mütter ist. Ich treff halt keine anderen und das ist mir ja auch recht, weil ich so eher unter Gleichgesinnten bin.
    Allein die Zahlen sprechen nämlich eine andere Sprache. 2/3 aller Familien lassen die Kinder fremd betreuen. Und es werden ja immer mehr. Die Leute buchen sogar Urlaub in Hotels, wo sie die Kids morgens abgeben können und mal Zeit für sich haben. Und in Mutter-Kind-Kuren ist es Standard, dass die Kinder im Kidsclub sind und die Mütter Angebote wahrnehmen.
    Ich frage mich eher woher solche Gedanken kommen – die Überromantisierung – dass Mütter nur auf die Kinder fixiert sind. Woher kommen die bei dir? Ich frage aus Interesse, denn ich hatte noch nie ein Umfeld, in dem das so dargestellt wurde. Darum fällt es mir so schwer, das zu verstehen.

    1. Christine sagt:

      Liebe Rosalie,

      tja das ist eine gute Frage woher meine Ansicht, ich gehöre einer Minderheit diesbezüglich an, kommt. Vielleicht liegt es schon daran, dass die Mütter, die ich kenne, nicht offensichtlich vor mir herumstöhnen, dass sie mal wieder Zeit für sich brauchen. Bei denen, die ihre Kinder so früh in die KiTa geben, weil sie arbeiten gehen, schieben vor allem die Arbeit an sich als Grund vor. Was nicht heißen soll, dass ich jeder Mutter unterstelle, dass sie nur deswegen arbeiten geht, um ihr Kind mal ein paar Stunden nicht sehen zu müssen. Aber ich denke, selbst wenn das der Fall wäre, würden es nur die Wenigsten zugeben, weil es gleich nach Rabenmutter klingt.
      Ich merke schon, ich muss mal ausführlicher darüber bloggen….

  7. Kathrin sagt:

    Mir geht es ähnlich und ich habe manchmal schon ein schlechtes Gewissen so zu denken, es steckt einfach in den Köpfen drin. Ich gönne mir die Zeit für mich und es ist gut für alle in dre Familie.

    LG
    Kathrin

    1. Christine sagt:

      Liebe Kathrin,

      fühl dich willkommen auf meinem Mama Blog!
      Ich freue mich, dass du dir trotz schlechten Gewissens die Zeit für dich gönnst und du die positiven Auswirkungen auch unmittelbar wahrnimmst. Man kann nur hoffen, dass nachfolgende Generationen nicht mehr mit so einem schlechten Gewissen herumlaufen; ich glaube wir kriegen das nicht mehr so schnell hin…
      Lieben Dank für deine Meinung!

  8. Isabell sagt:

    Liebe Christine,

    schöner Artikel, gefällt mir gut. Mir geht es zumindest ähnlich wie Dir – ich brauche einfach Zeit für mich um die Zeit mit meiner Tochter wirklich genießen zu können.

    LG
    isabell

    1. Christine sagt:

      Vielen Dank für deine Gedanken zu dem Thema!
      Christine

  9. Tine sagt:

    Liebe Christine,

    ich denke,es ist sogar das Recht jeder Mutter, sich Zeit für sich und die eigenen Bedürfnisse zu nehmen. Wir leisten jeden Tag soooo viel. Und nur, weil man einem kleinen Menschen das Leben geschenkt hat, heißt es nicht, dass Frau ausschließlich Mutter ist. Wir sind praktisch gesehen gute Schauspielerinnen, denn wir haben mehrere Rollen parallel zu spielen und die gleichermaßen hingebungsvoll. Auszeiten werden dabei oft unterschätzt, obwohl sie von primärer Bedeutung für Mutter und Kind sind. Generell weiß jede Mutter für sich, was ihr gut tut. Mein persönliches Wohlbefinden ist unabhängig von der Reaktion der Umwelt.
    Schön,dass du deine Auszeiten mittlerweile genießen kannst.

    1. Christine sagt:

      Liebe Tine,

      ich freue mich, dass du den Weg zu meinem Mama Blog gefunden und mir so herzenswarme Gedanken zu dem Thema dagelassen hast. :)
      Danke!

  10. Mel sagt:

    Toller Artikel! Und JA, auch Mamas brauchen Auszeiten! Und wie war’s denn früher? Da gab’s ne Großfamilie mit Omas/Opas, Tanten/Onkels usw., da haben alle die Kids zusammen „erzogen“ und behütet. Da mußte Mama auch nicht 48h am Tag zur Verfügung stehen! Wieso sollte sie das heute tun? Dann ist es eben der Kindergarten oder der Babysitter. So lange mein Kind da glücklich wiederkommt, ausgetobt, ausgespielt, bin ich gerne Rabenmutter. Denn Raben sind tolle Eltern! Und was nutzt einem Kind ne ausgelutschte Mama, die nicht auf sich achtet? Was soll es daraus lernen? Auch ne Mama hat Grenzen, das akzeptieren auch Kinder schon, wenn sie danach ne fröhliche und ausgeglichene Mama bekommen.
    :-)
    LG Mel

    1. Christine sagt:

      Liebe Mel,

      da sprichst du einen wichtigen Punkt an: Wahrscheinlich würden sich auch so manche Frauen aus anderen Kulturen an den Kopf packen, wenn sie unsere Ansprüche an uns selbst mit ansehen müssten. Nur weil wir uns immer mehr isolieren in der Gesellschaft und super Einzelkämpfer geworden sind, heißt das ja noch lange nicht, dass es normal ist, die Kinder 24h Stunden am Tag alleine beschäftigen zu müssen.
      Ganz lieben Dank für deinen Denkanstoß!

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