Gestern habe ich eine alte Bekannte besucht. Die Mutter zweier Söhne besitzt einen Deko-Laden, den ich auf der Stelle leer kaufen könnte, wenn ich mit entsprechendem Großlaster vorfahren würde das Geld hätte. Oft bin ich nicht dort, im Schnitt einmal jährlich. Als ich sie das letzte Mal traf, wohnte Mini noch in meinem Bauch. So freute ich mich auf dem Weg zu ihrem heimeligen Geschäft auf einen netten Plausch, bei dem Jede von uns einen netten Schwank aus ihrem derzeitigem Leben erzählen würde. Doch es sollte ganz anders kommen.
Was bedeutet Freiheit für dich? Dein Leben nicht hinter Gittern im Gefängnis verbringen zu müssen? Die Wahl zu haben, wie und wo du mit wem lebst? Finanzielle Unabhängigkeit? Für Jeden bedeutet Freiheit wohl etwas anderes. Und dabei gibt es meiner Meinung nach keine „richtigen“ oder „falschen“ Ansichten. Ich denke auch, dass es viele Formen von Freiheit gibt. Als ich gestern den Laden meiner Bekannten Maria* (*Name von der Redaktion mir geändert) nach einer Stunde Plaudern wieder verließ, schloss sich in mir eine Lücke. Es war, als hätte ich das letzte Puzzleteil gefunden, nach dem ich lange Zeit unbewusst gesucht hatte. Das Puzzlestück zu meiner eigenen Ansicht nach Freiheit.
Maria empfing mich gewohnt wohlwollend, bot mir einen Kaffee an und fragte kurz nach meinem Befinden. Doch anstatt das Gespräch auf die Gegenwart zu richten, nörgelte sie zunehmend über die –inzwischen weit entfernte- Vergangenheit. Dass sie ihrem Vater bis heute nicht verzeihen kann, was er vor 20 Jahren einmal über sie gesagt hatte, obwohl sie sich ansonsten gut verstehen. Wie blöd doch die neue Frau von ihrem Exmann sei, obwohl diese schon seit über 25 Jahren zusammen sind. Und dass die doofen Nachbarn immer noch genauso komisch seien wie vor zehn Jahren. Puh, das war mir dann doch ein wenig zu viel der Erinnerung an „gute alte Zeiten“.
Was mir also den ganzen Tag nicht aus dem Kopf ging, war die Tatsache, dass da eine Frau Anfang 60 vor mir stand, die auch nach Jahren einfach keinen Frieden mit ihrem eigenen Leben schließen konnte. Die sich auch heute noch über die Frau ihres Exmannes aufregt, obwohl Maria selbst seit mindestens genauso vielen Jahren eine neue, glückliche Beziehung führt. Eine Frau, die ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater hat, aber ihm einen Vorfall nicht verzeihen kann, der über zwei Jahrzehnte zurückliegt. Wo führt das noch hin, fragte ich mich im Stillen? Wie lange will sie diesen „Seelenmüll“ noch mit sich herumtragen und mit Leuten wie mir totdiskutieren? Und werde ich in 30 Jahren auch so vergangenheitsorientiert und seelisch völlig überlastet sein?
Da war es, mein Puzzleteil, das ich endlich gefunden hatte! Meine persönliche Ansicht von innerer Freiheit. Dinge loslassen können. Menschen nicht ändern wollen. Die Vergangenheit akzeptieren. Sich selbst und anderen verzeihen können. Wenn ich mich über Andere aufrege, binde ich mich an sie, ob ich das will oder nicht. Und zwar in einer Art und Weise, die auf Dauer nicht gesund für mich ist. Das kuriose dabei: Niemand zwingt mich, mich immer noch an Personen, Dinge oder Situationen zu binden, die längst nicht mehr zu meinem aktuellen Leben gehören, außer ich mich selbst. Was bleibt, sind Wut, Schuldgefühle, Hass oder der immer noch währende Neid auf die Nachbarin mit dem sowieso schon immer luxuriöseren geführten Lebensstil.
Macht mich dieses Jammern glücklich? Will ich selbst im höheren Alter noch ständig Probleme aus der Vergangenheit mit mir herum tragen? Nein, ich persönlich will das nicht. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht mir nicht darum, sich nie wieder über etwas oder Andere aufregen zu dürfen (das wär ja noch schöner, wenn ausgerechnet ich das sagen würde, die ständig was zum Aufregen findet). Mir geht es darum, dass man das richtige Maß findet. Der Autofahrer, der mir die Vorfahrt nimmt, begleitet mich manchmal nicht nur ein paar Minuten, sondern schon mal ein paar Stunden. Aber wenn ich mich noch Tage später über ihn auslassen würde, liefe glaube ich was schief. Genauso ist es, wenn ich keinen Frieden mit Personen schließen kann, die mir vor Jahren zugesetzt haben. Warum nicht mal ein klärendes Gespräch suchen oder zumindest einen Weg finden, meine Gedanken nicht mehr von dieser Person abhängig zu machen?
Dass die Umsetzung zu so einer Entscheidung nicht von heute auf morgen funktioniert, ist sicher klar. Aber wenn man sich dabei erwischt, wie man sich schon wieder über die komische Frau seines Expartners auslässt, kann man auch gegensteuern. Innerlich „Stopp“ sagen. Akzeptieren, dass der (sowieso blöde) Exmann eine Frau gefunden hat, mit der er glücklich ist und sich freuen, dass man nicht die Blöde ist, die Beide um sich herum ertragen muss.
Der buddhistische Mönch Ajahn Chah hat einmal gesagt: „Wenn du etwas loslässt, bist du etwas glücklicher. Wenn du viel loslässt, bist du viel glücklicher. Wenn du ganz loslässt, bist du frei.“
Ich glaube, wer das verinnerlichen kann, hat schon ein gutes Stück innerer Freiheit erlangt.
Leni sagt:
Sehr schön geschrieben. Und so wahr!
Liebe Grüße
Leni