Lebensfragen

Eine Entschuldigung tut gar nicht weh – Wenn Eltern Sätze sagen, die sie nicht sagen wollten

„Wenn du jetzt nicht mit dem Theater aufhörst, verkaufe ich dich an wildfremde Leute!“ Bäm! Da war er, der gefürchtete Satz. Dieser oder ein anderer von der Art Sprüche, die ich meinen Kindern niemals entgegenschleudern wollte. So Hirnrissige Ankündigungen, die man nicht mal im allergrößten Frust aussprechen möchte, selbst wenn man nicht mehr weiterweiß. Die man eigentlich nicht mal denken sollte. Androhungen, die man gewiss nicht durchsetzen würde, die mir jetzt aber über die Lippen kamen, weil ich dem Herrn Sohnemann mitteilen wollte, dass nun das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Und jetzt hatte ich es verkackt.

Es war ein heißer Sommertag in den Ferien gewesen und wir verbrachten ihn mit unseren beiden Jungs im Freizeitpark. Dreißig Grad im Schatten, Action am laufenden Meter und gefühlt der ganze Rest vom Bundesland, der dachte, dass es eine gute Idee wäre, sich und die Kinder in brütender Hitze genau an diesem Fleckchen Deutschlands bespaßen zu lassen.

Natürlich, das kann man vorher wissen. Auch, dass die schlechte Laune der Kinder vornehmlich in der Mittagszeit -genau wie die Sonne- ihren Zenit erreicht. Müde Söhne äußern sich bei uns vornehmlich in genervt-nöligem Gemütszustand mit unberechenbarem Verhalten. Freiwillig eine Pause einlegen? Gott bewahre! Eher wird noch mal richtig aufgedreht, sehr zum Leidwesen ihrer hochsensiblen Mutter, der die Hitze und der Trubel eh schon zu Kopf stiegen.

Und dann kam der Moment, in dem ich meinem Sohn wütend androhte, ihn gleich an den Nächstbesten zu verkaufen, wenn er sich weiterhin nicht an die besprochenen Regeln hielt. Augenblicklich bereute ich meinen verbalen Ausrutscher, nicht zuletzt wegen der nahestehenden Mutter, die ruhig ihren Kinderwagen vor sich vor- und zurückschob, garantiert alles mitangehört hatte und nun ihr Handy zückte und wild darin herumtippte.

Entweder wählte sie bereits die Nummer des Jugendamtes oder sie checkte schon mal vorsichtshalber ihren Kontostand, gewillt, den armen Jungen zu retten.

Keine der Varianten zählten zu meiner Wunschoption.

Unangenehm war mir das ganze trotzdem. Klar, zum einen möchte ich vor Außenstehenden nicht das Bild der abgefuckten Mutter abgeben, die sich und ihre Gedanken nicht unter Kontrolle hat. Zum anderen tat mir aber auch augenblicklich mein Sohn leid.

Nicht nur, dass es zu meinen Grundprinzipien zählt, den Kindern nur solche Konsequenzen anzudrohen, die ich auch tatsächlich durchführe. Ich weiß ebenfalls aus eigener Erfahrung, wie tief so ein Satz bei Kindern fallen kann.

Eine Entschuldigung tut gar nicht wehMein Vater pflegte früher auf der Autobahn immer den nächsten Parkplatz anzusteuern und uns anzudrohen, ohne uns weiterzufahren, wenn wir Kinder auf der Rückbank nicht endlich mit den Zankereien aufhören würden. Kein schönes Gefühl, vor allem nicht als Scheidungskind, das eh schon einmal signifikant vom Papa verlassen wurde. Auch, wenn er seine Androhungen auf dem Parkplatz niemals durchsetzte.

Als Kind willst du von deinen Eltern die bedingungslose Liebe erfahren, selbst, wenn du auch mal zum Pumuckl oder gar zur tyrannisierenden Nervensäge ausartest. Und trotzdem verstehe ich heute, selbst Mutter und bestens vertraut mit koboldähnlichen Zuständen der Kinder, die Reaktion meines Vaters. Wenn du schon alles versucht hast und dir einfach nichts mehr einfällt und du stocksauer bist und dir nur noch harmonische Zustände herbeiwünschst.

Es ist also zutiefst menschlich, dass einem in Momenten der Verzweiflung auch mal ein Satz herausrutscht, den man eigentlich gar nicht aussprechen wollte.

Niemand ist perfekt.

Und dennoch sah ich mich nach dem Vorfall in der Verantwortung, mich bei meinem Sohn zu entschuldigen. Nicht in dem Moment, da war ich sauer, mit meinem Adrenalinschub beschäftigt und damit, möglichst schnell aus dem Blickfeld der Kinderwagen-schiebenden Mutter zu kommen.

Aber am Abend, nachdem ich Maxi seine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen hatte, nahm ich all meinen Mut zusammen und gestand meinem Sohn ein, dass Mama einen Fehler gemacht hatte.

Ja ich gebe es zu, leicht war dieser Schritt für mich nicht, immerhin war es keine Entschuldigung der Art, wie wenn man jemandem versehentlich auf den Fuß tritt. Zumal ich mir gar nicht sicher war, ob sich mein Sechsjähriger überhaupt noch an diesen Vorfall erinnern konnte, der ja nun schon ein paar Stunden und unzählige Karussellfahrten her war. Riss ich damit nicht nur unnötig Wunden auf? Aber irgendetwas nagte an mir, wahrscheinlich war es außer meinem schlechten Gewissen die Befürchtung, dass Maxi es eben NICHT vergessen hatte.

Wir Erwachsenen sind in dem Punkt ja oft Meister der Vertuschung. „Ach, Schwamm drüber! Reden wir nicht mehr davon. Er wird es sicher schon vergessen haben“ denken wir dann. Oder: „Aus den Augen aus dem Sinn.“ Oder am schlimmsten: „Was ihn nicht umbringt, härtet ihn ab. Und nur die Harten kommen in den Garten.“ Aber was, wenn unsere Kinder genauso (hoch-)sensibel sind wie wir?

Eine Entschuldigung tut gar nicht wehZu all diesen Gedanken gesellte sich auch noch zusätzlich die schmerzhafte Erinnerung an meine eigene Kindheit, dass mein Vater sich nie für irgendetwas entschuldigt hatte. Was fast noch schlimmer war als jede Hirnrissige Androhung. Vermutlich befürchtete er, dass wir damit jeglichen Respekt vor ihm verlieren würden.

Aber bricht uns wirklich ein Zacken aus der Krone, wenn auch wir Großen mal einen Fehler eingestehen, und sei er in unseren Augen auch noch so gering?

Führt nicht im Gegenteil gerade dieses Verhalten dazu, dass unsere Kinder uns nur noch mehr respektieren?

 Führt vielleicht Schwäche zuzugeben dahin, Stärke zu beweisen?

Ich für meinen Teil will meinen Kindern jedenfalls vermitteln, dass auch Eltern nicht unfehlbar sind und dass einem, wenn man richtig wütend ist, leider auch mal Sachen herausrutschen, die man eigentlich nicht so meint. Also sagte ich meinem Maxi, wie aufrichtig leid es mir täte, was ich da gesagt hatte. Und dass ich ihn niemals verkaufen würde, weder an fremde noch bekannte Personen, weil ich ihn dafür viel zu lieb hätte. Ein erleichterndes Grinsen war die Antwort.

Es tat gar nicht weh.

Im Gegenteil. Auch, wenn es Überwindung kostete, hatte ich das Gefühl, dass es uns beiden nachweislich richtig guttat, das Gespräch, und unsere Beziehung noch ein Stückchen vertiefte. Dass so ein Auf-mein-Kind-Zugehen auch ein Stück der Kluft, die manchmal zwischen uns liegt, minimiert.

Und mich zu entschuldigen hat mir nachweislich keinen Zacken aus der Krone gebrochen.

5 Gedanken zu „Eine Entschuldigung tut gar nicht weh – Wenn Eltern Sätze sagen, die sie nicht sagen wollten“

  1. Chris sagt:

    Hallo Christine, ich sehe es wie Du. Allerdings muss ich zugeben, dass ich es auch erst Lernen musste, und von wem?-von meiner Tochter. Sie kann sich prima entschuldigen, aber ich habe mich da immer schwer getan. Abends im Bett hat mich dann das schlechte Gewissen geplagt. Heute kann ich sagen, es tut wirklich nicht weh, sich zu entschuldigen und man fühlt sich hinterher besser, dass man die Sache geklärt hat. Und wie du schon sagst, auch Eltern dürfen Fehler machen und das können die Kinder auch ruhig wissen.
    LG und einen schönen Abend

  2. Anna sagt:

    Ich glaube nicht, dass dich die Frau mit dem Kinderwagen so kritisch beurteilt hat wie du meinst.
    1. Tut es immer gut mitzubekommen, dass andere Eltern auch mal danebenliegen
    2. Tut es gut mitzubekommen, dass auch andere Kinder sich “daneben” benehmen – sie wird ja wahrscheinlich nicht nur mit nem Baby in dem Freizeitpark gewesen sein, sondern auch noch ältere Kinder haben
    3. War deine Drohung so abstrus, dass sie für alle Unbeteiligten eigentlich nur lustig klingt. Ich glaube nicht, dass sie das ernst genommen hat.
    Wahrscheinlich hat sie eher amüsiert einer Freundin geschrieben, was sie da gerade gehört hat – mache ich auch immer so ;)

  3. MitohneMaske sagt:

    Ich bin gerade durch Zufall hier bei dir gelandet und total begeistert. Von deinen Beiträgen, deiner Ehrlichkeit und dem Gefühl, nicht alleine zu sein, das sich hier bei jedem Klick immer mehr einstellt. <3

    Auch ich habe als Kind oft solche ganz fiesen Sätze und Androhungen zu hören bekommen. Favorit war bei meiner Mutter, dass sie mich bei Neckermann gegen eine besser Tochter eintauschen würde. Die Wunden sitzen immer noch tief und das, obwohl das alles schon viele viele Jahre her ist und ich habe mir geschworen, es bei meinem Kind besser zu machen. Tja, das war ein Satz mit X, denn auch mir sind inzwischen ein paar Dinge rausgerutscht, die ich niemals hätte sagen wollen und dürfen, wenn meine Grenzen weit überschritten und ich einfach nicht mehr weiter wusste. Und ich habe mich jedes Mal ganz schrecklich dafür geschämt und geweint. Und ich habe mich entschuldigt. Jedes Mal. Ich habe ihn in den Arm genommen, ihm erklärt, was in mir drin passiert ist, das ich so aus der Haut gefahren bin, dass es mir unendlich leid tut, aber auch Mama nicht perfekt ist und noch viel lernen muss und ich ihn über alles liebe. Das finde ich wichtig. Ich finde wichtig, dass wir hier alle unsere Gefühle zeigen können, auch mal aus der Haut fahren dürfen und dass wir darüber reden.

    Ganz liebe Grüße,
    Maike von MitohneMaske

  4. Carolein sagt:

    Ganz toller Blog, ich erkenne mich sehr wieder in dem, was du schilderst. Setze hier mal mein Lesezeichen :)

    Viele Grüße
    Carolein

    1. Christine sagt:

      Freut mich sehr, liebe Carolein!
      Fühl dich bei mir wie zuhause und nimm dir gerne ein paar Schokokekse aus der Küche :)

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