Lebensfragen

Ein Kind ist nur so entspannt, wie seine Eltern es sind – Was ist dran an dieser Weisheit?


Um eins schon mal gleich klarzustellen: Ich bin selbst Verfechter dieser Theorie und werde nicht müde, sie mir und Anderen immer wieder als gut gemeinten Ratschlag unter die Nase zu halten. Und doch gibt es Tage, an denen mein Glaube an diesen Uraltmythos, Kinder seien nur so entspannt, wie ihre Eltern es sind, auf eine harte Probe gestellt wird und ich mich frage, welch kinderlose Mensch sich allein in seinem (kreisch- und kinderfreien) Zimmerchen so eine Behauptung ausgedacht haben muss.

Tage wie heute, an denen ich tiefenentspannt den Raum betrete und als Dank verbal (und gefühlt auch körperlich) von einer Horde Wildschweine überrannt werde. Natürlich hinkt der Vergleich – immerhin habe ich noch nie in Echt zwei dieser Spezies durch mein Wohnzimmer laufen sehen, wohl aber meinen Zwei- und Dreijährigen mit selbigen Gesichtsausdrücken. Wie kann das sein, wo ich doch gerade gute Laune für Alle im Gepäck habe?

Ein Kind ist nur so entspannt, wie seine Eltern es sind – Was ist dran an dieser Weisheit?
„Naaaain, ich will den anderen Stock! Gib ihn miiiiiiiir!“ – „Mamaaaa, der Mini will mir meinen Teddy nicht geben!“ – „Mamaaaa, ich will meinen Zwieback nicht. Ich will Maxi’s Zwieback!“ Ich habe mir erlaubt, dir ein kurzes Intermezzo meines täglichen Beisammenseins mit den Kindern nieder zu tippen. Natürlich sind das lediglich die Höhepunkte, jene Wortfetzen, die man in dem ganzen Gekreische und Gezanke mit dem Bruder notgedrungen irgendwann aufschnappt, um sie in einen sinnvollen Kontext zu setzen. Und während bereits am Frühstückstisch die Butterbrote Fetzen fliegen, gehe ich konzentriert, aber dennoch so entspannt wie möglich in mich und suche meine innere Mitte.

Komisch, eigentlich hatte ich die heute Morgen nach einer Kurzmeditation zwischen Zähneputzen und Haareföhnen doch schon längst gefunden und mit an den Esstisch gebracht, in der Annahme, uns allen damit etwas Gutes zu tun. Bei dem Gebrüll, das zwischen Mini und Maxi stattfindet, zeigt mir meine Tiefenentspanntheit jedenfalls spätestens nach dem zweiten Toast den Vogel und verschwindet mitsamt meiner guten Laune ganz schnell Richtung irgendwo.

Ein Kind ist nur so entspannt, wie seine Eltern es sind – Was ist dran an dieser Weisheit?
Auch mein Mann berichtet mir hin und wieder von frustrierenden Momenten, in denen seine positiven Gedanken auf dem Weg zum Kinderzimmer schon das Weite suchen, bevor sie dem Lärm hinter besagter Tür entgegentreten müssten. Tage, an denen der Kindsvater bewusst entspannt und ohne böse Vorahnungen auf seine Söhne zugeht und als Dankeschön nur schlechte Laune erntet. Was ist also dran an dem weisen Spruch? Müsste er nicht geheime Zauberkräfte besitzen und meine Kinder binnen Sekunden in friedliche Engel verwandeln, weil ihre miese Stimmung regelrecht von positivem Karma überrollt wird?

Scheinbar nicht. Vielleicht sind mein Mann und ich auch oft genug nicht tiefenentspannt genug? Nur frage ich mich, was sich Mutter Natur dabei ausgedacht hätte, wenn sie permanent gut gelaunte Eltern fordern würde, als einzige Chance für eine freundliche Begegnung mit ihren Kindern. Wie können Mütter und Väter eines Trotzphasenkindes eine entspannte Grundstimmung zwischen dem ganzen „Nein!“, „Doch!“ und Auf-den-Boden-im-Supermarkt-Werfen überhaupt aufrecht erhalten?

Bei uns läuft das Prinzip „Überschwappende Grundstimmung“ momentan jedenfalls eher umgekehrt ab. Sind die Kinder schlecht gelaunt, dauert es nicht lange, bis wir es ebenfalls sind. Spielen die Kinder lachend und ohne Bisswunden miteinander, ziehen sich unsere Mundwinkel automatisch auch nach oben. Leider kommt letzteres nicht so häufig vor. Aber mal im Ernst: Warum sollte diese Weisheit auch nur in eine Richtung funktionieren? Meiner Meinung nach braucht es deutlich mehr positive, als negative Energien, um die Stimmung des Gegenübers umzustimmen.

Sind zwei Menschen gut gelaunt und zwei Anderen ist die Laus über die Leber gelaufen, kippt die Stimmung meist in die falsche Richtung. Genauso verhält es sich bei uns Zuhause. Sich darüber aufregen und aus Frust über die eigene, schwindende gute Laune bei dem Gezanke und Geheule auch noch mitzumischen, macht die Sache natürlich nicht besser. Können wir trotzdem gut. Wahrscheinlich aus Hilflosigkeit oder weil eh grad keiner den falschen Zwieback essen will.Ein Kind ist nur so entspannt, wie seine Eltern es sind – Was ist dran an dieser Weisheit?

Und dennoch sind eigentlich wir Erwachsenen in der unglücklichen Situation, den Teufelskreis namens schlechter Laune wieder durchbrechen zu können. Immerhin sind wir in der Lage, zu reflektieren und zu gucken, wie wir den ursprünglichen Zustand der Tiefenentspanntheit wieder herstellen können. Aus dem Raum gehen und mal bis Zehn zählen. Auf dem Klo verschanzen und noch schlimmere Katastrophen von anderen Müttern aus der Twittergemeinde nachlesen. Einen Zwieback dick belegt mit Nutella essen. Die Kinder ins Bett stecken. Die Kinder im Kindergarten abgeben. Die Kinder mit Spongebob ablenken. Und wenn alles nichts hilft die Decke über den Kopf ziehen und über andere Weisheiten nachdenken. Z.B.: Es ist alles nur eine Phase und morgen ist auch noch ein Tag.

8 Gedanken zu „Ein Kind ist nur so entspannt, wie seine Eltern es sind – Was ist dran an dieser Weisheit?“

  1. Frühlingskindermama sagt:

    Ich bin überhaupt kein Freund dieser Auffassung, ja, ich hasse sie geradezu. Habe selbst mal darüber gebloggt mit etwas anderem Fokus:

    https://fruehlingskindermama.blogspot.de/2015/06/entspannte-kinder-machen-entspannte.html

    Aber in den Gedanken Deines letzten Absatzes hast Du natürlich recht, dass nur die Eltern aus diesem Kreislauf ausbrechen können. Im Alltag ist es sicherlich eine gegenseitige Wechselwirkung, aber mit dem Wesen/Charakter eines Kindes hat die Un-/Entspanntheit der Eltern nichts zu tun.
    Liebe Grüße!

    1. Christine sagt:

      Lieben Dank für deine ehrliche Meinung.
      Ich fand deinen Artikel sehr spannend und auch die Rezensionen zu dem Buch, das du vorgestellt hast klingen vielversprechend. Grundsätzlich gebe ich dir Recht, dass der Charakter/das Temperament eines Kindes wenig mit der Entspanntheit der Eltern zu tun hat. Aber ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, dass an manchen Tagen, wo man es tatsächlich schafft, seine zufriedene Grundstimmung nicht zu verlieren, selbst mein Maxi weniger nörgelt und wegen jedem kleinen bisschen herumkrakeelt. Aber vielleicht spielen da auch zusätzlich äußere Faktoren (z. B. schönes Wetter + Kindergartenfrei + viel Zeit fürs Frühstück) eine große Rolle. Auf jeden Fall kann ich behaupten, dass die Kinder umgekehrt total launisch sind, wenn mein Mann und/oder ich vorher schon gereizt waren. In dem Fall scheint (zumindest bei uns) die Regel zu funktionieren.
      Sei lieb gegrüßt

  2. Rosalie sagt:

    Na, ich vermute, das mit der Gelassenheit ist eher auf einer Metaebene zu sehen. Wer ein riesen Gedöns um jedes Obstbreichen macht, um jedes Schreien und Zanken um jedes Ziepen, der hat sicher kein so schönes Leben wie andere und ich denke, das Kind schaut sich daran schon ab, dass man um jede Kleinigkeit entsprechend viel Gedöns machen kann und macht es später auch so, weil es das als normal empfindet.

    Darum denke ich schon: Würdest du z.B. schon in jeglicher Vorahnung einer Geschwisterzankerei vorsorglich eingreifen, würde sich diese ‚Ratlosigkeit‘ auch auf die Kinder übertragen. Auch einen ruhigen Charakter kann man hippelig machen, wenn man ihn ständig nervt.

    Momentane Launen kann man durch Gelassenheit wahrscheinlich nicht ändern. Aber du kommst schneller durch anstrengende Situationen durch, wenn du selbst das nicht so persönlich nimmst, Ruhig bleibst und nicht aufbauschst. Es hilft also eher dir, als deinen Kindern, denn du weisst selbst: je mehr Geschrei alle Beteiligten machen umso lauter wird es und umso länger wird geschrien.

    Ich denke auf jeden Fall, wer entpannter ist, kann auch seinen Kindern eher zugestehen, dass sie sich nicht so wie erwartet oder verlangt verhalten, kann seine Kinder eher als eigenständige Charaktere respektieren und wird auch selbst nicht von so vielen Situationen einfach überrollt und kann daher reflektiert handeln. Und da entspannte Eltern oft Entspannung in kritische Situationen bringen können, führt das auch zu Kindern, die sich mit der Zeit recht gut selbst regulieren können – also lernen zu entspannen. Einfach, weil, wenn sich die Eltern nicht allzu sehr einmischen, dann können sich die Kinder in dem Moment mit sich selbst auseinander setzen. Ein Kind ist in einer Wutsituation z.B. eh schon überfordert, wenn sich die Mutter einmischt und auch noch zusätzliche Anforderungen stellt oder keift, dann kann das Kind nur verwirrt zusammen klappen. Lässt man dem Kind aber Zeit und Raum um sich selbst wieder zu ordnen, lernt das Kind sehr viel schneller sich selbst zu entspannen. Das dauert natürlich Jahre und wird z.B. durch Pupertät nochmal komplett verändert. Aber auf jeden Fall haben alle Familienmitglieder weniger Stress, je weniger Stress der Anführer macht.

    Das Geheimnis ist ja nicht, jegliche Stressituation zu vermeiden und Harmonie einzufordern, wo sie gar nicht stattfinden kann, sondern den Kids zu zeigen, wie man elegant da durch kommt.

    Also fürchte ich, du musst das Gekeife zu Hause ertragen und hoffen, dass deine leise Unterstützung zu schnellen Lernerfolgen führt ;)

    1. Christine sagt:

      Vielen Dank, Rosalie, für deine ausführlichen Gedanken!
      Mit der allgemeinen Grundstimmung, sprich, einer grundsätzlichen Entspannung könntest du tatsächlich Recht haben. Das werde ich mir für die nächste kleine Rangelei mal merken und mich notfalls einfach mal zurücklehnen :)

  3. Steffi sagt:

    Ich empfinde diese Auffassung eher als wechselseitig.
    Unsere Tochter reagiert sehr auf meine Stimmung, aber es ist eben auch so, wie du es schreibst: ist sie mies drauf, braucht meine Stimmung auch nicht lange, um zu kippen. Und ganz ehrlich: ich habe tatsächlich schon das Telefon gezückt und Oma und Opa gesagt, ihre Enkeltochter möchte uuuunbedingt ihren Opa sehen ♥♥♥

    1. Christine sagt:

      Hallo Steffi,
      sei herzlich willkommen auf meinem Mama Blog, schön, dass du hergefunden hast!
      Ich finde es sehr gut, dass du in stressigen Momenten weißt, wie du dann die Reißleine ziehen kannst und eine Win-Win-Situation für alle herstellen kannst :)
      Liebe Grüße
      Christine

  4. B sagt:

    Ich bin auch sehr empfindlich was die Launen und Streitigkeiten meiner Kinder angeht. Ich hasse diese Heulereien und Streitereien und würde mir dann am liebsten die Ohrenstöpsel und noch einen Bauarbeitergehörschutz aufsetzen umd nicht von diesem Gekreische belastet zu werden. Ich habe es auch längst aufgegeben, da irgendwie Streit schlichten zu wollen. Oft gehe ich einfach aus dem Raum, wenn meine Söhne anfangen zu streiten und verschanze mich im Badezimmer und versuche mich zu beruhigen, in der Hoffnung, dass sie das Ganze selbst regeln können. Schlechte Laune meiner Kinder zieht mich extrem von der Laune her in den Keller. Da kann ich mich schlecht dagegen wehren. Und es ist jedes Mal ein Riesen Kraftakt, sich der schlechten Laune des Nachwuchses entgegenzustellen, die eigene Laune wieder zu heben und auch die Kinder von der Laune her wieder positiv zu stimmen. So schlimm hätte ich es mir bei Weitem nicht vorgestellt. Wobei ich meinem Ex-Mann da auch ein bisschen die Schuld geben muss, da er die Kinder verwöhnt, bei jedem Mucks/Geschrei gleich springt und sich permanent von den Kindern steuern lässt. Da kommen einfach anstrengende Kinder dabei heraus. Ein Kind, das beizeiten lernt, dass es NICHT der Nabel der Welt ist, ist viel pflegeleichter und hat viel mehr Frustrationstoleranz wie diese verwöhnten Prinzen und Prinzesschen, die bei allem, was ihnen nicht passt, gleich in Heulgeschrei und Protestrufen ausbrechen. Von demher erntet man wohl oder übel, was man sät. Auch bei Kindern. An manchen Zeiten (Winter, Krankheit, schlechtes Wetter) bete ich, dass das Wochenende möglichst schnell vorübergehen soll. An manchen Tagen klappt alles gut und auch die Laune bleibt positiv. Ich muss einfach lernen, mir meine gute Laune von den Kindern nicht verderben zu lassen und mich von ihnen abgrenzen, wenn sie versuchen, ihre schlechte Laune mir überzustülpen. Ich bin nicht verantwortlich für ihre schlechte Laune und sie müssen auch lernen, sich selbst aus einer schlechten Laune zu befreien. Dafür sind primär nicht die Eltern zuständig. Ich werde mich solchen Spielchen nicht mehr zur Verfügung stellen. Heute hat es funktioniert: der Kleine heult und jammert und ich schicke ihn ins Bad zum Händewaschen und ignoriere das Geheule komplett; schliesse noch extra die Badtür, dass ich sicher bin vor dem Gekreische. Da heult er ein bisschen rum und kommt nach 5 Minuten wieder raus, setzt sich ruhig auf den Boden und fängt an zu spielen. Ich war sprachlos: er meinte, es sei besser, zu spielen als zu heulen…kann ich nur zustimmen.

    1. Christine sagt:

      Ohja, das kenne ich auch nur zu gut! Ich lasse mich auch immer ganz schnell von schlechter Laune seitens meines Ältesten anstecken und finde kaum Zugang, ihm meine gute Laune „überzustülpen“. Nach ein paar erfolglosen Versuchen bekomme ich dann selbst schlechte Laune, weil es nicht klappt ;-)
      Das Abgrenzen empfinde ich nicht als leicht und muss es auch noch lernen. Ich denke, ohne Achtsamkeit für mich in diesem Augenblick und das Auseinanderhalten von seinen und meinen Gefühlen, funktioniert es nicht.
      Wunderbar, dass es bei dir und deinem Sohn in der von dir geschilderten Situation so gut geklappt hat! Das ist sicherlich eine große Motivaton für dich!

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