Früher, ja früher war alles besser. Na gut, alles natürlich nicht. Früher gab’s kein Internet, keine Billigflüge nach Mallorca und keinen IKEA. Dafür gab es an der Wursttheke immer eine Scheibe Wurst, wenn ich mit meiner Mutter einkaufen war. Und heute? Heute gibt es nicht nur die obligatorische Mortadella („Kinderwurst“, wie wir sie früher nannten). Heute gibt es für die Kinder auch noch Schokolade, Lollis und sonstigen Süßkram an der Fleischtheke.
Gratis versteht sich. Schön, könnte man meinen, muss Mutti nicht mal Geld in der Süßigkeitenabteilung ausgeben, weil der Nachwuchs bis dahin schon satt gefuttert ist. Ich muss aber zugeben, dass mir dieses ganze Geschenke wahnsinnig auf die Nerven geht.
„Möchte der Kleine eine Scheibe Wurst?“ flötete die Wurstverkäuferin bereits laut und deutlich in Minis Richtung, der vor mir im Einkaufswagen saß und wie ein Dackel sabbernd mit großen Augen auf die Wurstauslage starrte. Es war der Silvestermorgen und ich erledigte mit unserem Jüngsten die letzten Besorgungen vor dem Jahreswechsel. Na gut, dachte ich, soll er meinetwegen eine Scheibe Wurst bekommen. Mini freute sich mindestens genauso über meine Zustimmung wie die lächelnde Verkäuferin und schob sich gleich alles in den kleinen Mund.
Ich legte meine Einkäufe in den Wagen und war bereits in Gedanken bei der Käsetheke, als ich noch einmal die Stimme der Verkäuferin hinter mir herrufend vernahm: „Noch einen Lolli für Zuhause?“ – „Äh. Nein danke.“ Das enttäuschte Gesicht werde ich nicht vergessen. Nicht von meinem Sohn, der kaute noch zufrieden auf seiner Wurst herum, ich meine die Mimik der Verkäuferin. Eben noch strahlte sie mir ihr aufgesetztes Lächeln entgegen, jetzt sah sie mich an, als stünde die Rabenmutter schlechthin vor ihr. Und ehrlich gesagt fiel es mir auch noch drei Reihen weiter schwer, mich nicht als solche zu fühlen.
Nur, damit wir uns richtig verstehen: Ich gönne meinen Kindern eine Scheibe Wurst an der Theke. Und ich gönne ihnen auch mal ein Brötchen beim Bäcker. Aber ich finde, es muss nicht jedes Mal sein. Und schon gar nicht alles zusammen. Denn das ist heute leider die Regel geworden. An der Kasse bei EDEKA bekommen die Kinder ein Stück Schokolade, die Bäckerin überreicht ungefragt Kekse und bei Rossmann verteilt die Kassiererin fleißig Schokobons. Selbst an der Käsetheke gibt es inzwischen die Gratiswurst (wobei sich unser Mini sicher mehr über eine Scheibe Tilsiter freuen würde). Kann man nicht einmal in Ruhe einkaufen gehen, ohne etwas in die Hand gedrückt zu bekommen?
Was ich sagen will, ist, dass die lieben Kleinen zu jeder Gelegenheit verwöhnt werden. Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir eh schon so konsumfreudig sind. Statt Orangen und Nüssen liegen heute Kinogutscheine, teures Spielzeug oder Smartphones in den Nikolausstiefeln. Die Kinder suchen keine bemalten Ostereier, sondern den Gutschein für den Freizeitpark. Und Weihnachten wird das Ganze noch mal zehnfach getoppt. Nicht, dass ich mir unbedingt die Orangen und Nüsse wieder herbei wünsche. Auch wir stecken Schokolade in die Stiefel und lesen am Heilig Abend nicht nur die Weihnachtsgeschichte als Highlight des Tages vor.
Trotzdem versuchen wir, ein gesundes Maß beizuhalten. Dieses Jahr gab es für jedes Kind nur ein Geschenk. Mini bekam ein Buch und Maxi eine Bastelschere. Vielleicht finden andere Eltern das ziemlich geizig. Ich wiederum möchte meine Kinder in dem Alter, wo sie den Sinn von Weihnachten und Schenken noch nicht verstehen, nicht überfordern. Außerdem schenken die Verwandten ja auch noch was. Und es ist interessant zu sehen, wie viele Stunden sich ein Dreijähriger ausschließlich mit einer Schere und Geschenkpapier beschäftigen kann, ohne das Interesse daran zu verlieren.
Und wie wollen wir Kindern Bescheidenheit vorleben, wenn alles nach dem Motto „Mehr, mehr, mehr“ läuft? Ich kaufe Mini und Maxi bewusst nicht jedes Mal ein Hörnchen beim Bäcker, um ihnen zu vermitteln, dass es eben etwas Besonderes ist und dass es auch Geld kostet, einen Wert hat. Auch an der Wursttheke sage ich schon mal „Nein“ zur Mortadella. Glaub mir, das fällt gar nicht so leicht, wie man meinen könnte. Aber nicht wegen meiner inneren Überzeugung, sondern aufgrund der kritischen Blicke. „Was, die Beiden dürfen heute keine Wurst haben?? Sind die krank?“ –„Nein, aber sie bekommen eh gleich noch genug von Frau Bäckerin und Frau Rossmann hinterhergeworfen“ lautete nach dieser Frage meine Antwort (heute würde ich mich hoffentlich gar nicht mehr auf die Diskussion einlassen). Dass die Wurstverkäuferin den Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden hatte, bemerkte ich in dem Moment, als sie kurzum ins Bonbonglas griff, mir die zwei Lutscher zusteckte und den Jungs verschwörerisch zuraunte „Für zuhause dann!“
Wie gehst du denn mit der Extrawurst um? Versuchst du auch, so wie ich, an den Gefahrenzonen vorbeizuschiffen oder nimmst du stillschweigend alles hin? Freust du dich sogar vielleicht über die Ablenkung in Form von Dauerlutscher und Kinderwurst, um in Ruhe einkaufen zu können und das Genörgel nicht ertragen zu müssen oder nimmst du deine Kinder schon gar nicht mehr mit zum Wocheneinkauf? Ich bin gespannt auf deine Meinung!
Esther sagt:
Hallo
Hm. Also ich habe den Wursttrick inzwischen als ein wirkungsvolles Marketinginstrument erfahren. Ich gönne meinem aus vollem Herzen die Wurst. Aber ich will ja nicht jedes Mal an der Theke was kaufen und ich muss jedoch an ihr vorbei, dazu zwingt mich die Architektur des Geschäfts. Also gibt es jedes Mal Theater, wenn wir dort vorbei kommen und ich nicht an der Theke halte. Natürlich stehe ich das durch. Aber gelegentlich war das Kind so fixiert auf die Wurst, dass ich doch eine Kleinigkeit dort mitgenommen habe, nur für den Frieden. Marketing-Mission erfüllt. Denn obwohl mein Kind daran gewöhnt ist, dass es nicht alles im Geschäft bekommt, was es möchte, wirkt die Wurst mit ihrer sofortigen Verzehrbarkeit viel stärker. Bei den Bäckereien bekommen wir nur sehr selten etwas angeboten. Aber was ich wirklich hasse, das sind diese Lollis. Erstens finde ich sie nicht ungefährlich, ich achte darauf, dass das Kind sie nur im Sitzen isst. Und zweitens halten sie ewig vor und stellen eine Dauerbelastung für die Zähne dar. Drittens neigt mein Kind dazu mit diesen furchtbaren Dingern alles einzusauen, so dass die Jacke im Anschluss locker als Fliegenfänger herhalten könnte. Schrecklich. Also erlaube ich Lollis nicht. (Sollen sie sich anständige Mini-Tüten mit Gummibärchen zulegen, dann denke ich drüber nach.) Und wenn man die Lollis verweigert, dann bleiben bei uns nicht mehr so viele Gelegenheiten.
Ich finde die Wurst und andere Give-aways aber auch deshalb unproblematisch, weil wir nur einmal in der Woche einkaufen. Ginge ich täglich, würde ich es vielleicht auch nerviger finden.
LG
Esther
Christine sagt:
Liebe Esther,
willkommen auf meinem Blog, ich freue mich über deinen Kommentar!
Die Sorge mit den Lollis teile ich mit dir, die dürfen meine Kinder auch nur unter Aufsicht essen. Beim Thema Einsauen habe ich sehr geschmunzelt, das kenne ich bei meinen auch, und wenn es nur um ein winziges Stück Schokolade geht. Hinterher klebt immer der halbe Anorak. Die Minitütchen mit noch winzigeren Gummibärchen sehe ich allerdings auch in dem Alter noch kritisch, wegen der Erstickungsgefahr (zumindest wenn man als Eltern kein Auge darauf hat).
Liebe Grüße
Christine
Frühlingskindermama sagt:
Hallo Christine,
interessant, wie unterschiedlich die Erfahrungen sind. Ich habe im Gegensatz zu Dir das Gefühl, dass Kindern kaum noch etwas geschenkt wird. Aus meiner Kindheit kenne ich das auch, dass man beim Bäcker, beim Fleischer etc. etwas bekam. Das erlebe ich hier in unserem Wohnbereich äußerst selten. Mag daran liegen, dass wir ein sehr kinderreicher Bezirk sind… Am ehesten bekommen wir Mini-Geschenke noch in Läden/ Imbissen, die Migranten führen. Da sind kleine Aufmerksamkeiten für Kinder (auch ein Lächeln oder so) noch verbreiteter.
Ich finde es schade, weil das für uns als Kinder immer eine tolle Ausnahme war. Und würde mich freuen, wenn meine Kinder eine Scheibe Wurst bekommen würden, weil dann die Wahrscheinlichkeit größer als zuhause wäre, dass sie sie essen;)
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass damit viel geiziger umgegangen wird als früher. Aber das mag wie gesagt unserer Wohngegend zuzuschreiben sein.
Liebe Grüße,
Frühlingskindermama
Christine sagt:
Liebe Frühlingskindermama,
es ist wirklich spannend zu erfahren, wie andere Eltern das erleben. Schade, dass bei euch das andere Extrem vorherrscht, nämlich, dass es so gut wie gar keine Wurst oder Brötchen gibt. Das finde ich auch nicht gut. Schön, dass ihr vor allem in den Imbissen von Migranten positive Erfahrungen macht. Und dass für dich bereits ein Lächeln vom Verkäufer ein kleines Geschenk ist, berührt mich sehr. Erstens, weil es schön zu hören ist, dass für dich auch nicht nur materielle Werte zählen. Zweitens stimmt es mich aber auch nachdenklich, dass in unserer Gesellschaft Freundlichkeit im Miteinander eine Seltenheit geworden scheint.
Unser Mini ist übrigens auch kein Wurst-Fan. Schön zu lesen, dass es auch noch andere Kinder gibt, die ohne Wurst nicht können. Du klingst aber nicht so erfreut darüber? ;-)
Viele Grüße
Christine
Melanie sagt:
Ich gehe lieber ohne Kinder einkaufen, aber wenn sie dabei sind beim Bäcker oder Metzger, dürfen sie auch was haben. Ich mag es nur nicht, wenn sich mein Kleiner dann noch ein zweites oder drittes Stück einfordern will…
Was ich viel schwieriger finde: Wo mache ich die Grenze? Wie lernen Kinder, dass sie die Scheibe Wurst an der Theke nehmen dürfen, das Bonbon von dem fremden Mann auf dem Spielplatz aber nicht?! Die neue Verkäuferin ist uns auch „fremd“. Den Mann auf dem Spielplatz haben wir aber doch letzte Woche auch schon gesehen?
Kleine Kinder (mein Jüngster ist noch nicht drei) können da doch noch gar keinen Unterschied machen. Klar, er ist auch nicht alleine einkaufen und auf dem Spielplatz, aber seit einer Spielplatz-Bonbon-Situation letztens beschäftigt mich das doch sehr.
Liebe Grüße
Melanie
Christine sagt:
Liebe Melanie,
sei herzlich willkommen auf meinem Blog! Das ist ein sehr interessanter -und ernster- Gedankengang. In dem Alter finde ich das auch sehr schwierig zu vermitteln. Nein, falsch ausgedrückt: Ich glaube es ist gar nicht zu vermitteln. Höchstens durch konsequentes Vorleben, dass man im Laden Süßigkeiten „unbesorgt“ annehmen kann und „Draußen“ (auf dem Spielplatz etc.) eben nicht. Aber selbst das ist denke ich -genau wie du schon sagst- ein Eiertanz. Eine Freundin von mir mag es z.B. auch nicht, wenn eine relativ unbekannte Schrebergarten-Nachbarin ihrem 3-Jährigen Bonbons über den Zaun reicht. Kann ich total nachvollziehen, auch wenn die Geste von der Dame sicher nur nett gemeint ist.
Danke für deinen Kommentar!
Viele Grüße
Christine
Astrid R sagt:
Ich freue mich wenn unser Kleiner beim Fleischer eine Scheibe Wurst bekommt oder beim Bäcker einen Keks. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Verkäufer vorher nachfragen. Besonders toll finde ich eine Apotheke bei uns, die statt lollis kleine Windrädchen o.ä.verteilen. Und beim Blumenladen gibt es schon mal ein Blümchen für die Mama wenn er mit Papa da einkauft. ;-)
Christine sagt:
Liebe Astrid,
sei herzlich willkommen auf meinem Mama-Blog und vielen Dank für deinen Kommentar!
Das ist ja besonders nett, dass auch mal die Muttis beschenkt werden! So muss es doch öfter sein, immerhin sind die Mamas die Gestressten beim Einkauf. Also warum nicht die Mortadella für den Sohn, die fettarme Leberwurst für Mama und die geräucherte Mettwurst für den wartenden Daddy zuhause? Schon sind alle glücklich :)
Liebe Grüße
Christine
Schmetterlingsfamilie sagt:
Ich bin gerade auf Deinen Blog aufmerksam geworden und Du schreibst so schön das auf, was ich denke. Letztens habe ich selbst noch darüber geschrieben und freue mich,heute bei Dir zu lesen, dass es Dich genauso stört :)
Liebe Grüße
Lena
https://elfenhimmel.wordpress.com/2014/12/22/liebe-geschaftsfuhrer-ein-offener-brief/
Christine sagt:
Liebe Lena,
auch dir ein herzliches „Willkommen“ hier auf meinem Blog!
Das finde ich ja toll, dass du letztens selbst noch darüber geschrieben hast! Danke für den Link, ich habe mir deinen Artikel gleich durchgelesen. Er hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, gerade die Szene mit deiner Tochter und dem Traubenzucker!
Viele Grüße
Christine
Frühlingskindermama sagt:
Der Kommentar von Melanie hat mich für ein Problem sensibilisiert, über das ich in dem Zusammenhang noch nie nachgedacht hatte. Nun ist das Beschenktwerden zwar bei uns, wie beschrieben, nicht sehr verbreitet, aber das Grundproblem ist natürlich völlig richtig erkannt. Darüber muss ich mir zukünftig mal Gedanken machen. Zu kleinen Kindern kann man ja sagen, dass sie alles annehmen dürfen, wenn Mama oder Papa dabei sind. Aber später sind sie allein unterwegs, und stimmt: wo ist dann der Unterschied zwischen dem Fleischermeister und dem Mann auf dem Spielplatz? Vielen Dank für die Anregung zum Nachdenken!
Christine sagt:
Liebe Frühlingskindermama,
das kann ich nur unterschreiben!!
Liebe Grüße
Finja sagt:
Ich wusste gar nicht das Kinder Tilsiter Käse mögen.
Christine sagt:
:-D Ich hätte es vorher auch nicht für möglich gehalten!
Finja sagt:
Meine würden zum Geruch etwas sagen.
Christine sagt:
Der Mini freut sich auch heute noch, wenn es „Stinkekäse“ gibt, unser Maxi mag auch nur die milderen Sorten.
Finja sagt:
Wie alt sind deine Beiden? Meine 5 und 9
Christine sagt:
Sie werden bald 6 und 7.